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Verena Güntner
© CC-BY-NC-SA 4.0 Lisa-Marie George

Ein Sechzehnjähriger, der in der Platte lebt, gerne „Fickwetten“ abschließt und HA – Höhenangst – hat. Luis ist kein Charakter, den sich Verena Güntner mit Gewalt ausdenken musste, sondern der einfach so angefangen hat, ihr seine Geschichte zu erzählen.
Eigentlich Schauspielerin und jetzt Autorin – für Verena Güntner ist es wunderbar, sich in vollkommen andere und unkonventionelle Figuren wie Luis hineinzuversetzen. Nach einer erfolgreichen Teilnahme am open mike 2012 und der Auszeichnung mit dem Kelag-Preis bei den Klagenfurter Tagen der deutschsprachigen Literatur 2013 ist ihr erster Roman „Es bringen“ im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Du bist Newcomerin auf dem Gebiet der Belletristik, ursprünglich kommst du vom Theater. Was hat dich dazu gebracht, selbst zu schreiben?

Das war keine bewusste Entscheidung. Ich habe immer für mich geschrieben. Natürlich habe ich mich in meinem Beruf als Schauspielerin mit Sprache und Texten befasst. Dann muss irgendwann der Wunsch entstanden sein, das in eigene Geschichten zu übersetzen. Ich wusste gar nicht, dass da eigene Geschichten sind. Das kam relativ plötzlich. Ich habe dann einen Ausschnitt zum open mike geschickt und daraufhin kam relativ viel Resonanz. Das hat mich erst auf die Idee gebracht, dass daraus ein Roman entstehen könnte. So bin ich da stückweise reingerutscht. Es ist mir einfach passiert und das war ganz gut, weil ich nicht so viel Zeit hatte, darüber nachzudenken, sondern einfach losgelegt habe.

In deinem ersten Roman stehen verletzende Erfahrungen in der Pubertät eines eher draufgängerischen Jugendlichen im Zentrum. War es für dich schwierig aus einer solchen Perspektive zu schreiben?

Ehrlich gesagt war die Figur von sich aus sehr präsent und kräftig. Das hört sich zwar komisch an, aber die Figur des Luis hatte eine relativ große Eigendynamik. Dieser Sound, der dem Charakter so eigen ist, war ganz deutlich und dann bin ich dem erst einmal so gefolgt. Am Anfang wollte ich mich als Autorin noch irgendwie einmischen und besonders schöne Bilder finden. Dann dachte ich aber, das würde Luis so nicht sagen und hab alles wieder rausgeschmissen.

Es gab nie die bewusste Entscheidung, dass ich unbedingt aus der Perspektive eines sechzehnjährigen Jungen schreiben wollte. Ich finde sie aber auch einfach spannend. Das liegt auch daran, dass mir in meinem Beruf als Schauspielerin ja erstmal nicht die männlichen Rollen angeboten werden. Dass ich diese ungewöhnliche Perspektive in meinem Roman einnehmen konnte, war natürlich toll.

Welche Rolle spielt die Sprache in deinem Roman? Was ist das für eine Sprache?

Es ist eine Sprache, die sich am Jugendjargon orientiert, aber nur rudimentär. Sie soll nicht authentisch sein und erhebt auch keinen Anspruch darauf. Gerade in den Dialogen gibt es vielleicht Momente, da denkt man, dass sich junge Leute heute tatsächlich so unterhalten könnten, aber letztlich ging es mir darum nicht. Ich wollte die Geschichte von Luis erzählen, der ja seine sehr eigene Philosophie hat. Zwischen der Poesie und den jugendsprachlichen Anleihen eine Balance zu finden, das war natürlich eine Herausforderung.

Was sind Themen, die dich interessieren und mit denen du dich gerne in zukünftigen Arbeiten auseinandersetzen möchtest?

Das Spannungsverhältnis zwischen den beiden Polen Nähe und Distanz, Härte und Weichheit, das ist etwas, was mich grundsätzlich interessiert Das Milieu der Geschichte ist demnach fast austauschbar. Obwohl mir es in diesem Roman schon darum ging, dass da einer ist, der ja gesellschaftlich ganz unten ist, der aber von sich sagt: Ich bin ganz oben. Er kommt aus der Platte, sagt aber, dass er das gut findet. Es ist trotzdem keine Milieustudie, sondern vielmehr die Auseinandersetzung mit einem speziellen Charakter. Was den Roman aber vermutlich ausmacht, ist der Gegensatz, der sich in der Figur des Luis findet: Er hat eine harte, machohafte Schale, ist aber gleichzeitig ein extrem verletzlicher und zarter Junge. Ob und wie ich das Interesse an diesen Gegensätzen in weiteren Projekten umsetzen kann, das weiß ich noch nicht. Ich bin gerade erst dabei herauszufinden, was als nächstes entstehen könnte.

Wie wichtig sind für dich Literaturpreise und Stipendien, z. B. der Kelag-Preis, den du letztes Jahr im Rahmen der Tage der deutschsprachigen Literatur gewonnen hast?

Die Anerkennung dessen, was man da gemacht hat, ist schon hilfreich. Gerade wenn man noch am Anfang steht. Schon die Nominierung für einen Preis macht viel aus. Durch die Einladung zum Bachmann-Preis habe ich schnell einen Verlag gefunden. Beim open mike zuvor hatte ich schon viele Lektoren kennengelernt, mit denen ich dann auch später im Gespräch war. Wenn ich nicht bei der Schreibwerkstatt in Edenkoben dabei gewesen wäre, hätte ich Paul Jandl nicht kennengelernt, der mich nach Klagenfurt eingeladen hat. Das war dann schon so eine Art Kettenreaktion. Die Grundlage ist generell trotzdem immer der Text, den man hat. Die Preise und Stipendien beschleunigen aber sehr viel.

Wie hilft dir deine Erfahrung als Schauspielerin im Beruf der Schriftstellerin?

Einerseits hilft mir das auf der Textebene: dass ich mich gut in Figuren hineinversetzen kann, dass ich in Bildern denke und bei Lesungen merke ich auch, obwohl ich immer aufgeregt bin, dass mir das total viel Spaß macht. Das funktioniert natürlich gut, weil ich Erfahrung damit habe, das Publikum mit hereinzuholen. Es ist also sicherlich nicht von Nachteil.

 
Spielt im Zusammenhang damit auch die Inszenierung als Schriftstellerin für dich eine Rolle?

Ich denke, man kann sich dem gar nicht vollkommen entziehen. Autoren, denen man nachsagt, dass sie sich inszenieren, die äußern sich eben auch gerne in eine spezielle Richtung oder haben Spaß daran, bestimmte Teile ihrer Biographien zu verändern. Das ist dann einfach Teil ihrer Persönlichkeit. Deshalb finde ich den Begriff „Inszenierung“ etwas schwierig, irgendwie ist er ja auch negativ konnotiert. Natürlich will man als Autorin oder Autor seinen Text so gut wie möglich vermitteln und dabei spielt die eigene Person eine nicht ganz unentscheidende Rolle. Ich versuche da aber ganz bei mir zu bleiben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Lisa-Marie George