Übergabezeremonie Gastland Brasilien 2013 – Finnland 2014

Gastland Finnland

Es ist Sonntagnachmittag und fünf Tage Buchmesse sind fast vorbei – fast! Denn was darf am Ende der größten Buchmesse der Welt auf keinen Fall fehlen? Richtig: jede Menge dankende Worte, Lob und Händeschütteln – und natürlich die Übergabe der „GastRolle“ an den Ehrengast des nächsten Jahres. Ein Report über zwei Länder, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch so viel gemeinsam haben.

Auf der Messe herrscht allgemeine Aufbruchsstimmung. Viele Besucher machen sich nach einem Wochenende voller Bücher am Nachmittag des 13. Oktober auf den Heimweg. Doch im Forum haben sich noch einmal Besucher,  Journalisten und Organisatoren der Messe zusammengefunden, um diese mit dem diesjährigen Gastland Brasilien und dem Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2014 Finnland im offiziellen Rahmen ausklingen zu lassen. Auf der Bühne sitzt der brasilianische Autor Paulo Lins sowie die finnische Autorin Rosa Liksom, in ihrer Mitte Moderator Thomas Böhm.

Begonnen wird die feierliche Übergabe mit kurzen Lesungen aus den Romanen der beiden. Nicht nur Liksom erzählt in ihrem preisgekrönten Roman „Abteil Nr.6“ ein Stück Geschichte – die Geschichte ihres Heimatlandes – auch der in Rio de Janeiro geborene Lins schreibt in seinem Roman „Seit der Samba Samba ist“ von der brasilianischen Kultur,  eine Kultur entstanden am Rande der Gesellschaft. Was die beiden Romane verbindet ist der Gebrauch der Sprache. Beiden Autoren ist es wichtig, die Sprache der Menschen in ihren Werken so zu übernehmen, wie man sie auf der Straße  hört. Nur so wird ein korrektes und unverfälschtes Bild der Gesellschaft wiedergegeben. Gerade für die in Lappland geborene Autorin Liksom hatte Sprache von klein auf eine große Bedeutung: Als sie als junges Mädchen nach Helsinki geht, ist es die Sprache, die sie von den anderen unterscheidet. „Die Sprache ist das Wichtigste, um sich in eine Kultur zu integrieren“, betont die Schriftstellerin.

Daraufhin werden den Zuschauern mithilfe eines auf Leinwand übertragenen Videos die Ergebnisse des Projektes „Utopia.doc“ präsentiert, das anlässlich der Ehrengastrolle Brasiliens 2013 ins Leben gerufen wurde. Dabei haben Frankfurter Familien ihre Türen für eine Performance geöffnet, bei der erst allen Familien in Form einer Umfrage dieselben Fragen zu ihrem Zuhause sowie zu Wünschen und Zukunftsträumen gestellt wurden und neun brasilianische Autoren aus diesen Informationen anschließend eine Geschichte machten. Die Ergebnisse bewegen die Teilnehmer sichtlich: „Es ist ein Gefühl wie zu Hause ankommen“, meint eine junge brasilianische Frau im Video.

Die finnische Autorin Rosa Liksom schreibt nicht nur Bücher, sie zeichnet auch Comics und dreht Filme. Diese Vielseitigkeit sei „typisch skandinavisch“, sagt sie. In der Beherrschung vieler Künste zeige sich die Freiheit einer Gesellschaft. Dies sei eine Gemeinsamkeit mit Deutschland.

Ein letztes Mal haben die Hörer im Saal dann die Möglichkeit, in einer Lesung brasilianischer Kunst zu lauschen. Unter dem Motto „Brasilien. Ein Land voller Stimmen“ stand die Ehrung des diesjährigen Gastlandes. Kein Wunder also, dass die Gastrolle auch mit dem Klang brasilianischer Poesie ein Ende findet.

Nachdem Lins das Gedicht in portugiesischer Sprache vorgetragen hat, bittet Moderator Böhm den Direktor der Frankfurter Buchmesse Jürgen Boos zur Übergabe der „GastRolle“ auf die Bühne. Diese ist eine speziell für die Frankfurter Buchmesse gestaltete Skulptur, der jedes Jahr ein Text des jeweiligen Gastlandes hinzugefügt wird. So vereint das Kunstobjekt verschiedenste literarische Ströme der bisherigen Ehrengäste und wächst von Jahr zu Jahr. Finnland seinerseits hat einen Auszug aus „Sieben Brüder“, einem Roman des finnischen Nationaldichters Aleksis Kivi, gewählt. Boos, der noch die beiden Verantwortlichen für die Gastauftritte Brasiliens und Finnlands Renato Lessa und Iris Schwanck zu sich auf die Bühne bittet, beschreibt die Literatur als eine schöpferische, aber auch als eine zerstörerische Kraft. Er lobt, dass es in der vergangenen Woche wieder erfolgreich gelungen sei, Klischees abzubauen – das mache die zerstörerische Kraft der Literatur aus. Lessa habe durch die geladenen Gäste Präsenz und Vielstimmigkeit erreicht, die nicht nur direkt vor Ort in Frankfurt, sondern auch in Brasilien selbst viel bewegt habe. So habe man die Relevanz von Literatur weitergetrieben: „Man hat ein Brasilien gezeigt, das manchmal an sich verzweifelt, das aber durch seine eigene Kreativität, durch seinen Willen und seine Intellektualität nach vorne treibt.“ Er dankt Lessa und allen beteiligten Autoren, dass sie dies nach Frankfurt gebracht haben und merkt gleichzeitig an, dass er sich durchaus bewusst sei, welch große Herausforderung und Verantwortung auf Schwanck warte, die den Gastauftritt Finnlands für 2014 plant. Als Schwanck daraufhin sichtlich bewegt die „GastRolle“ entgegennimmt, lobt auch sie noch einmal das Programm und die Präsentation des Ehrenauftritts des diesjährigen Gastlandes. Sie bedankt sich für die Möglichkeit, an einem solchen Angebot partizipieren zu können, das mache sie sehr glücklich. Sie sehe es als ihre Aufgabe, nächstes Jahr die Geschichte der finnischen Literatur zu erzählen, und zwar von A bis Ö, vom ersten bis zum letzten Buchstaben des finnischen Alphabets. Unter dem Motto „Finnland. Cool.“ möchte sie die Besucher nicht nur neugierig machen, sondern vor allem emotional bewegen.Übergabe Finnland

Einen Vorgeschmack auf ihr Vorhaben erhalten die Besucher durch ein kurzes Video, das dem Zuschauer die verschiedenen Facetten finnischer Kultur zeigt.

Zum Abschluss präsentieren Comic-Zeichner Petteri Tikkanen und Musiker Jimi Tenor als Duo ein Spektakel der besonderen Art, welches wohl den Höhepunkt des abschließenden Zusammenkommens darstellt: Während Jazz-Musiker Jimi Tenor auf Saxophon und Keyboard für die musikalische Untermalung sorgt, malt auch Tikkanen. Allerdings auf Papier. Natürlich alles unter dem Motto „Finnland.Cool.“

Es ist ein buntes Finnland, ein modernes und vielseitiges Finnland, auf das wir uns freuen dürfen. Ein Finnland, das uns seine Kultur präsentiert, ohne dabei spießig oder altbacken zu wirken. Ein Finnland, in dem Literatur und Kunst  so selbstverständlich zur modernen und offenen Gesellschaft gehören, dass seine Weltgewandtheit sympathisch und lässig wirkt. Cool eben.

Judith Lottes