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Roman Ehrlich
© CC-BY-NC-SA 4.0 Lisa-Marie George

Auf Wikipedia oder seiner Verlagsseite kann man sich die Auszeichnungen und Stipendien von Roman Ehrlich chronologisch aufgelistet durchlesen. Muss man aber nicht. Viel besser: Man liest seinen neuen Erzählband. Daher sollen die Nominierung für den open mike 2011, der Preis der Automatischen Literaturkritik der Riesenmaschine 2013 sowie jüngst der Robert-Walser-Preis und andere hier erst mal unerwähnt bleiben.
Derzeit zählt Roman Ehrlich neben anderen Autoren seiner Generation, wie Verena Güntner und Karen Köhler, zu den Nachwuchshoffnungen der Gegenwartsliteratur. 2013 hat er den Roman „Das kalte Jahr“ und in diesem Jahr den Erzählband „Urwaldgäste“ beim DuMont Verlag veröffentlicht.

 
Was verbindet die Erzählungen in deinem neuen Band „Urwaldgäste“?

Wahrscheinlich sind es vor allem die Motive, die die Erzählungen miteinander verbinden. Mir ist jetzt erst richtig aufgefallen, dass in den einzelnen Geschichten sehr viel gearbeitet wird. Die Figuren befinden sich in einem Arbeitsverhältnis, mit dem sie vielleicht nicht ganz zufrieden sind. Sie sind alle an einen Punkt in ihrem Leben gekommen, an dem ihnen auffällt, dass etwas nicht in Ordnung ist, dass sie anfangen über die Art, wie ihr Leben verläuft, zu reflektieren. Sie haben alle das Gefühl, sie spielen da irgendwo mit, aber die Regeln sind ihnen nicht klar. Sie fangen an, das zu begreifen, aber sie können noch nicht produktiv damit umgehen und einen neuen Lebensentwurf anfertigen. Es ist eine große Offenheit in den Biographien der einzelnen Figuren.

Die Figuren deiner Erzählungen changieren zwischen anonymer Namenlosigkeit und emotionaler Identifikationsfläche. Ist das ein bewusstes Spiel, das du mit dem Leser treibst?

Es braucht gar nicht immer den Namen oder die Psychologie einer Figur, damit man sich ihr nahe fühlen oder sie nachvollziehen kann. Ganz oft sind meine Figuren über ihre Funktion dargestellt oder sie werden über ihre Berufsbezeichnung eingeführt. Manchmal sind sie auch einfach der Vater von jemandem, dann heißt die Figur nur „der Vater“ und hat darüber hinaus keine Bezeichnung. Der Leser bekommt so vielleicht einen biographischen Anknüpfungspunkt. Gleichzeitig sind aber auch Sprechhaltungen elementar. Die Leute reden über ihr Leben und sich selbst, dadurch entsteht eine Charakterisierung. Das ist aber kein Psychologisieren. Ich will in den Erzählungen nicht erklären, warum wir auf diese Art und Weise kaputt oder unzufrieden sein könnten. Meine Figuren versuchen sich sprechend dort zu verorten, wo sie sind, und dem Rechnung zu tragen, dass sie eigentlich gar nicht wissen wer und wo sie gerade sind.

Du hast bisher in deinen Büchern immer auch mit Bildern und Fotografien gearbeitet. Da denke ich direkt z. B. an W. G. Sebald. Welche Bedeutung haben diese Bilder für dich?

In dem neuen Erzählband kommen sie seltener vor als in meinem Roman. Sebald war auch wichtig für mich in der Vergangenheit. Er war aber jemand, bei dem ich gemerkt habe, dass ich erst einmal an ihm vorbeikommen muss beim Schreiben, weil diese Art von Erzählen, auch diese Art die Bilder zu integrieren, mich sehr beeindruckt haben. Dann musste ich zuerst über den Punkt des Kopierens hinauskommen. Das hat sehr lange gedauert, bis ich gemerkt habe, was mein Weg ist. In den Erzählungen sind die Abbildungen doch sehr illustrativ geworden.
Es hat mich einfach schon immer interessiert, was passiert, wenn man sozusagen das Bild als Beglaubigungsmedium in die Fiktion einführt. In den Geschichten geht es auch viel darum, dass die Grenzen zwischen den fiktionalen bzw. medialen Räumen, wie dem Theater und dem Fernsehen und dem, was eben die beschriebene Realität wäre, abgebaut werden. Alle Beteiligten sind von den Medien soweit geprägt, dass diese zu ihrer Lebensrealität geworden sind. Die Differenz zwischen dem gelebten Leben und dem konsumierten, fiktiven Leben ist aufgehoben. Da sind die Bilder eben sehr hilfreich, durch sie holt sich der Leser eine Beglaubigung, eine Verortung. Ich mache das aber nicht nur, um eine „Handschrift“ zu generieren. Die Bilder sind da, wenn ich das Gefühl habe, es muss sein.

Du hast bereits an einigen Wettbewerben und Schreibwerkstätten teilgenommen. Wie hilfreich sind solche Möglichkeiten?

Das hat sich bei mir sehr verändert. Ich würde sagen, dass es in den meisten Fällen gut war, es gemacht zu haben. Ich habe ja auch am Literaturinstitut Leipzig studiert. Ich denke, ich habe sehr viel von dieser Förderstruktur, die es gibt, mitgenommen und bin jetzt aber an einem Punkt, an dem ich glaube, dass es mir nichts mehr bringt. Aktuell habe ich auch kein Bedürfnis an einer Werkstatt teilzunehmen, sondern es ist eher so, dass dadurch, dass ich am Anfang so viel gemacht habe, bei mir jetzt eine Gegenbewegung eingesetzt hat. Ich möchte gar nicht mehr über meine in Arbeit befindlichen Texte öffentlich sprechen. Wie sinnvoll es generell ist, über das Schreiben zu sprechen, während es stattfindet, darüber habe ich auch noch kein finales Urteil gefällt.

Der Autor hat eine Sorgfaltspflicht: Der Text muss geschützt werden, solange er entsteht. Sonst greifen alle von allen Richtungen ein und drehen daran herum. Deswegen würde ich das jetzt nicht mehr machen, aber ich bin nicht unzufrieden damit, dass ich es gemacht habe. Ich habe mich nie dazu gezwungen gefühlt, sondern ich war neugierig, wie das so alles funktioniert. Bei Wettbewerben und Stipendien merkt man ja auch, dass es eine Reaktion auf den eigenen Text gibt. Man ist froh über eine Einladung, denn so hat man auf einmal eine Öffentlichkeit, an der man wirklich teilnimmt mit Diskussionen und Gesprächen, mit der Rezeption, der Kritik und der Reaktion darauf.
Manchmal, wenn ich mir durchlese, wer was gemacht hat, dann habe ich das Gefühl, der Autor ist wie ein Politiker, der seine Karriere vorangetrieben hat, bis er in den Bundestag oder auf einen anderen wichtigen Posten gekommen ist.

Auf der Frankfurter Buchmesse, aber auch im Rahmen von Lesungen oder Wettbewerben präsentierst du dich selbst als Autor. Wie schwer fällt dir das? Was denkst du über Selbstinszenierung?

Ich finde es bedenklich, beängstigend, befremdlich, seltsam. Wahrscheinlich auch in die Zukunft gedacht gefährlich, dass es scheinbar eine derartige Wichtigkeit hat, dass die Personen, die die Bücher schreiben, sie auch so präsentieren müssen. Die Leute wollen heute irgendwie, dass solche Repräsentanten abrufbar sind und es wird von ihnen gefordert, dass sie das, was sie geschrieben haben, auch durch ihre eigene Biographie legitimieren. Das widerstrebt mir sehr. Andererseits ist es ja auch toll, mich mit den Leuten zu unterhalten, die meine Bücher gelesen haben. Das Gespräch über Literatur ist ja fast so interessant wie das Lesen selbst. Ich denke nur, es darf eben nicht vergessen werden, dass das verschiedene Sachen sind.

Manchmal wünschte ich mir, ich hätte vorher eine Art Kunstfigur erfunden. Das ist etwas, was mir spät eingeleuchtet hat. Es gibt keine Privatpersonen in der Öffentlichkeit, das ist ein Paradox. Wenn man sich keine Kunstfigur erfunden hat, dann wird eben die Privatperson in der Öffentlichkeit zur Kunstfigur und man muss damit auch irgendwie umgehen lernen und nicht in eine Krise stürzen.
Mediale Möglichkeiten im Internet interessieren mich auch nicht. Ich versuche mich davor zu schützen. Ich lese meine E-Mails, das ist meine einzige Online-Abhängigkeit. Ich halte das Internet nicht für ein literarisches Medium. Das mögen andere anders sehen und ich bin auch nicht strikt dagegen, dass es anderen gefällt. Aber ich persönlich habe einfach nichts davon.
Langsamkeit ist ein wichtiger Aspekt für mich beim Schreiben. Twitter macht mich nervös, da verliere ich total den Faden.

Du zählst noch zu den Newcomern der Branche, hast im letzten Jahr deinen ersten Roman veröffentlicht und jetzt einen Erzählband. Was hast du für Zukunftspläne was deine Arbeit betrifft?

Ich schreibe jetzt wieder an einem Roman. Ich denke auch ständig über das Theater nach, aber ich komme irgendwie nicht über den Punkt, wo das Nachdenken über das Theater in das Schreiben für das Theater mündet. Ich habe immer noch das Gefühl, dass ich etwas Elementares nicht verstehe, was ich erst noch lernen muss. Vielleicht führt das dazu, dass ich nie für das Theater schreiben werde.
Seit mein erster Roman veröffentlicht wurde, habe ich das Gefühl, dass mein Leben durch Schreibprojekte, Lesungsanfragen und Stipendien so weit im Voraus geplant ist, wie nie zuvor.
Vielen Dank für das Gespräch!

Lisa-Marie George