von Stefan Katzenbach

„Wo hört Freiheit auf, wo fängt Diskriminierung an?“ Diese Frage wurde auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse im Rahmen der Veranstaltung „Schreiben und Cancel Culture – ist die Kunstfreiheit in Gefahr?“ auf der ARD-Bühne am letzten Donnerstag diskutiert. Auslöser war auch ein FAZ-Artikel des Schriftstellers Matthias Politicky.

In diesem erklärte er Ende Juli, warum er Deutschland in Richtung Wien verlassen habe. Er fühle sich in seiner Schaffenskraft eingeschränkt: „Auch die Stoffe meiner Romane machen mich verdächtig: Was darin gestern noch als Weltoffenheit geschätzt wurde, könnte heute als kulturelle Aneignung empfunden und für unstatthaft erklärt werden. … Kann man in der Sprache, wie sie der Zeitgeist fordert, überhaupt noch – aus dem Vollen schöpfend, nach Wahrhaftigkeit strebend – literarische Texte verfertigen?“, so Politicky in der FAZ. Moderatorin Bascha Mika, ehemalige Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, fragte die Teilnehmer:innen der Diskussion, die Verlegerin Antje Kustmann, den Schriftsteller Matthias Politicky und die Schriftstellerin Jagoda Marinić nach ihren persönlichen Erfahrungen rund um cancel culture und die Frage nach der sprachlichen Zensur. Für Antje Kunstmann ist es eine Wiederholung der Debatte von vor dreißig Jahren, damals sei es rassistisch gewesen, wenn Alex Haacke in seinem Buch über sprachliche Verhörer von einem „schwarzen Hund“ geschrieben habe. Allerdings arteten die Angriffe heutzutage aus, sie habe es erlebt, dass Autor:innen während Lesungen bedroht würden: „Wir müssen uns dagegen wehren, diese Art der Sprachpolizei darf nicht unterwegs sein“, so Kunstmann. Für Matthias Politicky ist der Versuch sprachlicher political correctness eine gut gemeinte Idee, die allerdings am Ziel vorbeischießt, wie er an einem persönlichen Beispiel erzählte. In Bulgarien sei er mal von einem Taxifahrer fast verprügelt worden, als er diesen als Sinti bezeichnete, dieser habe sich selbst „Gipsy“ nennen wollen. Political correctness in Bezug auf Sprache, sei „unsere Vision“ und habe nichts mit den Vorstellungen und Wünschen der Menschen zu tun“, so Politicky. So sei die aufklärerische Bewegung sprachlicher Inklusion aktuell „in eine Gegenposition“ gekippt, die sein „Arbeits-und Verständigungsmaterial“ beschädige.

Die „Herzkammer der Demokratie“ soll die Meinungsfreiheit verteidigen

Für Jagoda Marinić eine zu einfache Haltung: „Wir können alle noch sagen was wir wollen“, ist sie überzeugt.  Für sie ist es eher „eine Frage der Temperatur des Diskurses“, die Debatte sei so zugespitzt, dass das Wesentliche nicht mehr wahrgenommen werden könne. Es müsse aber möglich sein, „dass ich differenziere.“ Für Antje Kunstmann ist die Debatte um Sprache, Kunst und Meinungsfreiheit positiv, weil sie die gesellschaftlichen Verhältnisse klarmache: „Kunst und Freiheit gehört zusammen!“ Deswegen lehne sie es auch ab, von außen vorgeschrieben zu bekommen, ob ein Buch politisch korrekt sei oder nicht, so würde die „Freiheit der Lektor:innen“ eingeschränkt. „Wenn wir entscheiden, ein Buch zu veröffentlichen, dann stehen wir dahinter.“ Auch Matthias Politicky hob die Kunst- und Meinungsfreiheit hervor: „Die Verlagsbranche ist die Herzkammer der Demokratie. Wenn es nicht möglich ist, eine Meinung zu äußern, die nicht unsere ist, dann haben wir unseren Beruf verfehlt.“ Für Jagoda Marinić eine Debatte, die von der falschen Seite geführt wird: „Sie sind nicht weniger frei als vor dreißig Jahren“, entgegnete sie Politicky und warf die Frage auf, wie offen der Literaturbetrieb für Menschen sei, die nicht in die Norm passten. „Wir müssen lernen eine plurale Demokratie zu sein, statt jemanden vorzuschreiben, wann er zu laut ist.“ Deswegen sei es auch wichtig, Sprache nicht unabhängig von Gesellschaft zu denken, antwortete sie auf die Frage von Moderatorin Bascha Mika, inwieweit Sprache unschuldig sei. „Sprachwandel passiert durch politische Bewegungen.“ Eine Abwertung der Sprache werte auch diese Bewegungen und ihre Ziele ab. „Die Genderdebatte ist auch eine Debatte über Identitätspolitik. So zu tun, als ging es nur um eine Sprachdebatte, so bequem können wir es uns nicht machen“, erklärte Marinić.

Widerspruch und Kritik akzeptieren

Matthias Politicky sah diesbezüglich auch die Buchbranche in der Pflicht. Man habe die „Deutungshoheit“ in dieser Debatte an andere abgegeben, dabei seien „Autor:innen und Verleger:innen“ in dieser sprachlichen Debatte „im Bereich der Literatur“ und hätten Fachwissen, um rassistischen Vokabeln entgegenzutreten. Für Antje Kunstmann geht die Debatte auch weit über das sprachliche hinaus, wie sie Bascha Mika auf die Frage antwortete, ob es nur um sprachliche Deutungshoheiten ginge: „Die Debatte um Sprache reflektiert die Politik.“ Bezogen auf die Debatte um rechte Verlage auf der Messe und die damit einhergehenden Absagen prominenter Autor:innen bedeutet dies für Kunstmann: „Wenn man für Meinungsfreiheit ist, kann man nicht rechte Verlage ausschließen wollen und die Messe boykottieren. Mit Verboten hat man noch nie etwas erreicht.“  Ist die Kunstfreiheit in Gefahr? wollte Bascha Mika zum Abschluss noch wissen. Für Matthias Politicky schon: „Sie ist bereits bedroht, die Bedrohung fängt beim Einzelnen an. Ich stehe fest in der Tradition der Aufklärung, Meinungsfreiheit heißt andere Traditionen anzuerkennen.“ Aktuell sei aber aus „Angst“ die „Selbstzensur“ auf dem Vormarsch. Antje Kunstmann sieht das anders, die Kunst sei noch frei, könnte allerdings bedroht sein, dies müsse man thematisieren. „Sie ist nicht bedroht“, sagt hingegen Jagoda Marinić. „Wir sind übersensibel geworden und müssen lernen, dass Widerspruch und Kritik kein Verbot sind.“

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/schriftsteller-geht-ins-ausland-wegen-der-regulierung-der-sprache-17440750.html (F+)