Die Zeitschrift für Literatur SCHRiTTE, 1982 die Wurzel des Axel Dielmann Verlages, wird wieder ab Frühjahr 2017 in Kaffeehäusern in ganz Deutschland und Österreich erscheinen. In ihr finden vor allem Texte fernab des literarischen Mainstreams ihr Publikationsmedium. Grund genug, Herrn Dielmann über die Hintergründe der SCHRiTTE, die Arbeit als Verleger und den eigenen Werdegang zu interviewen.
Die Zeitschrift SCHRiTTE, die vor über 30 Jahren gegründet wurde, soll ab Frühjahr 2017 wieder bundesweit in Cafés ausliegen. Ohne zu viel zu verraten: Was erwartet den Leser in der neuen Ausgabe?
Wie schon in den Heften von 1982 bis 1996 sind es ausschließlich Primär-Texte, also Gedichte, Kurzprosa, Roman-Auszüge, Essays, Theater-Auszüge. Es sind viele junge und neue Autoren neben einigen bereits etablierten oder mindestens »Alten Hasen« (und Häsinnen) – mir kommt es auf eine Mischung an, die neben der überraschenden Erzählung auch die ungewöhnliche Form entdecken läßt, das dürfen ruhig auch Experimente sein neben packender Prosa. ABer auch Texte, die wir gar nicht originär als »Literatur« verorten würden, beispielsweise werden wir einige Textblöcke von Rabih Mroué haben, einem libanesischen Künstler, Filmemacher und Theatermann, der seine sehr ergreifenden Performances mit Texten und Flugblättern begleitet, das empfand ich als eine sehr faszinierende »Stimme«. – Wir haben ganz entschieden genug Mainstream und bestens erprobte bis kanonisierte Textformen, da dürfen die ungewöhnlichen Stimmen, die Eigensinnigen durchaus zu Wort kommen.
Sie betonen, dass Sie in Ihrer Zeitschrift unkonventionelle und überraschende Texte jenseits des Bestseller-Mainstreams veröffentlichen wollen. Wie läuft die Text- und Autorensuche für ein solches Projekt ab?
Die SCHRiTTE wieder ins Leben zu rufen, entschloß ich mich auch vor dem Hintergrund, daß mir doch erstaunlich viele Autoren begegnen, die ganz großartige Sachen in ihren Schubladen und auf den Rechnern haben, die aber einfach trotz jahrelanger Entwicklung an ihrer Text-Ästhetik nicht an relevante Leserkreise herankommen. Immer wieder mache ich Entdeckungen, die mich beeindrucken – aber mit maximal 25 Titeln im Jahr, die auch immer öfter bereits von dem Dutzend HausautorInnen »gefüllt« sind, kann ich die natürlich nicht alle ins Buchprogramm nehmen. Das wäre verlegerischer Selbstmord. Da ist die SCHRiTTE eine schöne Möglichkeit, sozusagen ein editorisches Ventil. – Zudem melden sich eben auch die Schriftsteller, mit denen ich bereits arbeite, mit denen ich drei, fünf, acht Bücher gemacht habe, mitunter und empfehlen einen Autor oder tragen mir ein Manuskript an, das sie überzeugend finden, über das wir sprechen und das sich als wesentlich entpuppt. Oder auch Autoren, die ich kenne und von denen ich längere Zeit nichts gelesen habe. Insgesamt ist das eine Melanche aus verschiedenen Entdeckungspfaden – was die Sache lebendig, weil vielstimmig macht.
Ihre Zeitschrift wird im DIN A3-Format gedruckt – warum dieses ungewöhnliche Format?
Das hat den schlichten Grund, daß wir in teilweise recht großen oder auch verwinkelten Kaffeehaus-Räumen auffallen müssen, und andererseits würde auch ein kleineres Heft-Format zwischen den erfreulicherweise in vielen Cafés aushängenden Tages- und Wochenzeitungen einfach optisch untergehen. Da soll SCHRiTTE in ihren eigenen Zeitungshaltern schon ins Auge fallen. – Obendrein macht es sowohl gestalterisch wie auch als Leser viel Vergnügen, wenn die Beiträge auf den großen Doppelseiten miteinander in Schwingung geraten, sich kommentieren oder konterkarieren und schon prima vista die wunderbare Vielfalt des Literarischen auftun.
Sie haben den Relaunch Ihrer Literaturzeitschrift SCHRiTTE mit einer Crowdfounding-Aktion gekoppelt. Welchen Stellenwert räumen Sie solchen digitalen Plattformen für die unabhängige Literaturszene ein?
Diese Frage versuche ich mir gerade selbst zu beantworten: Ich glaube, da ist sehr viel möglich! Ich werde auf der diesjährigen Mainzer Mini-Pressen-Messe dazu ein Seminar geben; denn ich meine, wir alle können da viel experimentieren. Vor allem sind die »Neben-Effekte« bei diesen Crowdfunding-Kampagnen noch gar nicht hinreichend gewürdigt. Wir haben beispielsweise zunächst das Budget im Auge gehabt; peu à peu merkten wir aber, hopla, das hat durchaus PR-Aspekte, die interessant sind. Dann gab es eine nächste Stufe, es kamen nämlich immer mehr Leute aus der Crowd auf uns zu und sagten: Wir würden SCHRiTTE gerne auch in unserer Stadt in den Cafés hängen sehen. Darauf wir: Da müßten wir aber einen Verteiler, einen »Botschafter« in Ihrer Stadt haben – und da passierte es: Die Leute hatten Interesse, dieses Aushängen in den Cafés selbst zu übernehmen; oder sie empfahlen uns jemanden vor Ort. Wir haben die Anzahl der SCHRiTTE-Städte auf diese Weise VERDOPPELT! Ohne daß wir das so geplant hätten. Ein umwerfender Effekt, der kaum als »Neben-Effekt« richtig bezeichnet ist – aber so lief es. – Man muß da wach und mit hohem Einsatz in die Kommunikation an sein Projekt herangehen, was zwar ein mächtiger Aufwand ist, bei mir waren es anstatt geplanten täglichen 2,5 Stunden rund 5,5 Stunden über einen Monat der Kampagne hinweg, das kann einen schon lahmlegen – aber die Effekte waren einfach mächtig und erfreulich und ganz im Sinne unseres Literatur-Projektes SCHRiTTE. – Wir suchen freilich weiterhin nach zusätzlichen »Botschaftern« …
Planen Sie auch eine digitale Ausgabe der SCHRiTTE?
Ich bin mit zwei Klassen aus zwei dualen Oberstufen-Schulen im Gespräch, die sich mit IT befassen. Schon die Notwendigkeit, ein brauchbares Archiv für die schönen Beiträge zu haben, erfordert in dieser Richtung eine digitale »Parallelaktion«, die dann auf www.schritte.eu mit integriert werden wird.
Als ich neulich die erste Vorankündigungs-Veranstaltung für SCHRiTTE in einem Café machte, fiel mir erst wieder ein, welche Schätze und Perlen wir da über die Jahre in den Heften hatten: Zwei Texte von Wolf Biermann, zweimal drei verblüffende Prosatexte der jungen Herta Müller, ein Henri Michaux-Gedicht, zwei unentdeckte rumänische Gedichte von Paul Celan, von den ganzen Unbekannteren ganz zu schweigen – das wäre beinahe alles untergegangen.
Zwar will ich im Zentrum des Projektes SCHRiTTE wirklich diesen sehr besonderen Überraschungsmoment stehen lassen, die Begegnung im Café, dieses physische Phänomen: Huch, was ist das? Was gibt es da? Und dann läßt man sich für einige Minuten, für eine Viertelstunde, für eine Stunde treiben, das ist der publizistische Kern – aber natürlich wäre es beispielsweise großartig, wenn man bestimmte Texte über einen QR-Code auf sein Smartphone oder Tablet bekommen könnte oder direkt auf der Website von einem Autoren, einer Autorin landen könnte, die besonders pfiffige Präsentationen ihrer Texte bieten. Erstaunlicherweise waren es etliche meiner eher älteren Autoren, die in dieser Richtung die intensivsten »Begehrlichkeiten« entwickelten und sagten: Laß uns doch einmal überlegen, ob wir nicht beispielsweise … – aber da will ich jetzt nicht vorgreifen!
Aufgrund des Erfolgs der SCHRiTTE gründeten Sie 1993 den Axel Dielmann Verlag. Wie unterscheiden sich die Arbeiten als Verleger von Büchern und Herausgeber von Zeitschriften?
Radikal! – Zwar ist das Aufstöbern von Neuem und Faszinierendem beidemale der Anfangspunkt. Aber wenn dann die Zeitschriften-Beiträge redigiert und Neugierde weckend aufgemacht sind, kann man sich als Zeitschriftenmacher zurücklehnen und ist fertig, bis zum nächsten Heft, das dann aber wieder die gleichen Arbeitsgänge hat – beim Buch-Verleger hingegen beginnt jetzt erst der eigentliche Arbeitsberg: Jetzt muß für Buch und Autor getrommelt werden, und zwar jedesmal neu, für jedes Buch anders, während ja die Zeitschrift, das »Periodikum« als Publikations-Gleis immer weiterläuft. Es müssen Buch-Lesungen organisiert werden, der Autor will begleitet und weiter betreut werden, zu Preisausschreibungen geführt werden, im Buchhandel platziert werden und vieles mehr. Und dann soll ja der Autor möglichst im Verlag bleiben, also visiert man gemeinsam mit ihm das nächste Buch an, und und und. Das ist ein gänzlich anderes Arbeiten. – Großartig ist es freilich am Ende, wenn man beides miteinander verschränken kann und sich die zwei publizistischen Wege zu ergänzen beginnen. Einige Verlage machen das ja glänzend vor (wenn auch wahrscheinlich als Zuschußgeschäft), Hanser mit »Akzente«, Klett-Cotta mit dem »Merkur« … Da kommen die Schienen dann wieder zusammen und machen noch einmal mehr aus beidem: Die Hefte sind »Verwertungsräume« für Autoren und Texte, die man dann doch nicht oder noch nicht ins Buch stemmen kann, obwohl man sehr von ihrer Wichtigkeit überzeugt ist, die Zeitschrift ist zudem Probebühne für eventuelle weitere Zusammenarbeit mit einem Autor; umgekehrt nutzt das Buchprogramm die Zeitschrift quasi als Scout-Posten und genießt mit ihr auch eine exzellente Werbeplattform.
Und dann gibt es noch einen anderen, sehr eigenen Aspekt: die Verbindlichkeiten in beiden Editionswegen, hie Buch, da Zeitschrift, sind sehr unterschiedlich. Bei einem Buch, jedenfalls in einem kleineren und eher abseits der Mainstream-Bücher operierenden Verlag haben wir Bücher, schon gar Gedichtbände etwa, die oft nur einige Hundert Exemplare Auflage erreichen, wenige Tausend bei Romanen oder bestimmten Sachbuchtiteln. Dafür sollen diese Bücher lange leben, viele Jahre lieferbar sein, die Menschen übers Leben begleiten, wenn es gut ausgesucht ist. Das ist die eine Sorte von Verpflichtung zum guten Inhalt. – Bei der SCHRiTTE hatten wir zuletzt rund 220.000 Leser, werden die auch sicher innerhalb eines halben oder ganzen Jahres wieder haben. Und da ist nun das Heft nach 10 Wochen durch das nächste ersetzt und die meisten Exemplare nicht so sehr lange in der Welt unterwegs. Aber dieses Wissen, hier bringst Du einen Text an eine Viertelmillion Leser, das verpflichtet plötzlich wieder ganz anders zur sorgfältigen Auswahl, zur Redaktion, zum Lektorat.
Wiederum, zwei ganz unterschiedliche Verbindlichkeiten. Aber sie treffen sich, weil auf beiden Wegen Genauigkeit, Verliebtheit in den guten Text, die Begeisterung des Lesers für Neues und Eigenwilliges die Meßlatte setzen muß.
Mit Blick auf Ihren eigenen Werdegang: Stand für Sie bereits früh fest, dass Sie in der Verlagsbranche arbeiten wollen?
Ich wollte ursprünglich in die Wissenschaft gehen und Forschung treiben, hatte Physik zu studieren begonnen, war Anfang, Mitte 20 – aber dann fragte ich mich: Mit welchen Menschen, mit welchen Ideen, mit welchen Arbeitsstrukturen, mit welcher Vielfalt an Tätigkeiten, mit welchen Herausforderungen, mit welchen Glücksmomenten willst Du Dein Leben verbringen? Und da hatte ich bereits mit SCHRiTTTE angefangen und gesehen, was das heißen kann: einem Text bei der Entstehung, bei seinem Transport zum Leser, bei seiner Wieder- und Wieder-Entstehung in den Leserköpfen »zuzusehen« … Das war ein unwiderstehliches Erlebnis!
Haben Sie auf Ihrem Weg etwas gelernt, das Sie jungen Kolleginnen und Kollegen auf den Weg geben möchten?
Vieles, ja! – Im wesentlichen vielleicht dies: Meinen Autoren und Mitarbeitern und Praktikanten sage ich immer, wenn es hin und wieder mal nicht wirklich vorangehen will: »Sturheit siegt!« Ohne dieses »Dranbleiben!« kommen wir, und zwar generell in der gesamten Kulturarbeit, zu gar nichts: »Sturheit siegt!« – Und meinen Lesern und Käufern und Homepage-Besuchern und Vorschau-Betrachtern sage ich immer: »Bleiben Sie neugierig!« Und das gilt natürlich auch nach drinnen, in den Verlag hinein, und es gilt so sehr, daß sogar eine Rundfunkanstalt diesen Slogan für sein Kulturprogramm übernommen hat: »Bleiben Sie neugierig!«
Das Interview führte Denise Marschall.