Reger Austausch beim offenen Gespräch im Literaturhaus

Reger Austausch beim offenen Gespräch im Literaturhaus

Norwegen zu Gast bei Münchner Verlagsfreunden – Isabella Kortz von den Jungen Verlagsmenschen berichtet über die Übersetzer- und Verlegertagung von NORLA im Literaturhaus in München.

Das Wetter hätte norwegischer nicht sein können während der dreitägigen Übersetzer- und Verlegertagung von NORLA (Norwegian Literarture Abroad) im Münchner Literaturhaus von 15. bis 17. Juni. Zu diesen umfassenden Seminartagen hatte die unkommerzielle norwegische Literaturagentur etablierte freie Übersetzer, die drei norwegischen Autoren Thomas Hylland Eriksen, Yngve Frøyen und Kjersti Annesdatter Skomsvold sowie Verlagsmitarbeiter und den Nachwuchs der Branche eingeladen.

Thomas Tebbe (Piper) und Tatijana Michaelis (Hanser) im Interview

Thomas Tebbe (Piper) und Tatijana Michaelis (Hanser) im Interview

Als ich mich auf den Weg dorthin machte, peitschte mir draußen eine starke nordische Brise den Regen ins Gesicht. Das letzte Fünkchen gute Laune in mir verflog, als ich – durchnässt und endlich im Literaturhaus angekommen – erfuhr, dass genau der Referent, auf den ich mich schon seit Wochen gefreut hatte, kurzfristig verhindert war: Hinrich Schmidt-Henkel. Der renommierte Literaturübersetzer (u. a. von Jon Fosse, Henrik Ibsen, Albert Camus und Louis-Ferdinand Céline)  und 1. Vorsitzende des Übersetzerverbandes VdÜ hätte einen Vortrag zum Thema „Wie frei kann ein Übersetzer sein?“ halten sollen. Ein sehr gutes Thema, wie ich fand, birgt doch genau dieser Punkt häufig großes Diskussionspotential zwischen Lektoren und ihren Übersetzern. Ich war enttäuscht und überlegte, spontan wieder zu gehen, nachdem mich ohnehin ein Riesenstapel Arbeit am Schreibtisch im Büro erwartete.

Das Multitalent: Anne Bubenzer

Das Multitalent: Anne Bubenzer

Gut, dass ich blieb! Es wäre nämlich Jammerschade gewesen, denn so hörte ich stattdessen einen Vortrag von Anne Bubenzer über den deutschen Buchmarkt mit dem Titel „Keine Schublade ist auch eine Schublade – Die Bedeutung von Genre“, der mich lehrte, dass der deutsche Buchmarkt weniger auf Originalität als vielmehr auf massentaugliche „Me-too-Selbstgänger“ ausgerichtet ist und – statistisch ermittelt – das Lesen in Deutschland Platz 7 der beliebtesten Tätigkeiten belegt. Auf Platz 1 steht das Fernsehen und auf dem letzten Platz das Golfspielen.

Anne Bubenzer und ihr sauber recherchierter Vortrag informierten nicht nur, sondern amüsierten auch. Die eloquente junge Frau entpuppte sich als eine unterhaltsame Rednerin, die sehr humorvoll und selbstbewusst aus dem Nähkästchen ihres eigenen, reichen Erfahrungsschatzes als Lektorin, Übersetzerin und Autorin oder besser gesagt als „eierlegende Wollmichsau“ plauderte. Spätestens als sie Inga Lindström als deutsche Autorin mit schwedischem IKEA-Namen bezeichnete und Lektoren als gut ausgebildete Trüffelschweine, hatte ich Hinrich Schmidt-Henkel vergessen und ein neues Idol gefunden. Einen Blick auf Anne Bubenzers individuelle Homepage (www.anne-bubenzer.de) kann ich wärmstens empfehlen, sie hat es verdient.

Am Nachmittag sprachen schließlich die Gäste Thomas Tebbe, Programmleiter des Bereiches Belletristik im Piper Verlag, und Tatjana Michaelis, Lektorin für Belletristik im Carl Hanser Verlag, über das Thema „Zusammenarbeit zwischen Verlag und Übersetzer“. Ich gebe offen zu, nicht damit gerechnet zu haben, hier auf zwei so charismatische, natürlich gebliebene und unaffektierte Verlagskoryphäen zu treffen. Die Gesprächsimpulse, die beide gaben, warfen Fragen auf und inspirierten die gesamte Runde der Anwesenden zu regen Diskussionen.

Thomas Tebbe sprach Klartext und machte deutlich, dass hochwertige Literatur unglaublich schwer geworden und nur wenig Raum für Experimente geblieben sei. Marktsituation sei inzwischen, dass von sehr wenigen Büchern sehr viele Exemplareverkauft würden und von sehr vielen Büchern nur sehr wenige, wobei der Markt für Originalausgaben im Taschenbuch in den letzten Jahren enorm gewachsen sei. Er selbst wie auch Tatjana Michaelis vertrauen bei der Auswahl ausländischer Titel für ihre freien Programmplätze auf die Empfehlungen der ausländischen Herausgeber selbst sowie auf die von Übersetzern, Agenten oder Scouts. Was Tebbe diffamierend als das so genannte Eisberg-Prinzip bezeichnete, bestätigte auch Michaelis: 90 Prozent der erstellten Gutachten über ausländische Titel führen nicht zu einer deutschen Publikation. So ernüchternd dies klingt, so wahr ist es leider.

In der anschließenden Diskussionsrunde wurde auch eine Warnung an den Nachwuchs abgegeben: Bewerbungsanrufe von freien Übersetzern im Verlagshaus direkt und besonders unangemeldete Besuche am Verlagsstand auf der Frankfurter Buchmesse sind nicht sonderlich beliebt und daher auch nicht unbedingt zielführend. Die Lektoren erwarteten eine gute Begründung, warum ausgerechnet ihr Verlag genau dieses Buch publizieren sollte. Wer Aufträge ergattern wolle, sollte von seiner Sache 100 Prozent überzeugt sein und brauche vor allem eines: Idealismus und einen langen Atem.

So wurde auch auf der NORLA-Tagung im Literaturhaus München eines wieder ganz deutlich: Nicht nur für den Nachwuchs in den Verlagsanstalten selbst, auch für selbständige Übersetzer und Lektoren auf dem, nicht erst seit dem Suhrkamp-Weggang und der Schließung des Ratgeberbereiches bei Droemer Knaur hart umkämpften freien Markt, ist es schwer in der Branche Fuß zu fassen.

Bleibt zu hoffen, dass das von NORLA im Zuge der Veranstaltung organisierte Speed-Dating zwischen festangestellten Verlagsmitarbeitern und freien Übersetzern am letzten Abend der Tagung ein wenig dabei helfen konnte, die Auftragslage des ein oder anderen zu verbessern. Trotz ihrer enormen Größe ist die Buchbranche ja glücklicherweise manchmal auf ihre Weise sehr klein und familiär, jedes neue Gesicht sieht man irgendwann irgendwo wieder und die „Alten Hasen“ gewähren dem jungen Nachwuchs gerne hilfsbereite Einblicke in ihre beruflichen Erfolgsrezepte.

Auch die Institution NORLA selbst leistet hier einen groß(artig)en Beitrag, in dem sie eine sehr persönliche und offene Nachwuchsförderung betreibt. Nicht von ungefähr gehört NORLA zu den Top-Adressen für deutsche Verlage auf der Suche nach erfolgreicher norwegischer Literatur und qualifizierten Übersetzern. Auch hier lohnt ein Blick auf die Website: www.norla.no

Isabella Kortz