Am Messefreitag wurde auf dem Forum Kinder-Jugend-Bildung über „Vater-Mutter-Kind: Brauchen wir mehr Vielfalt in Kinder- und Jugendbüchern?“ diskutiert.
Die Leitung der Moderation übernahm Christine Knödler, die nicht nur freie Journalistin ist, sondern auch an der LMU München lehrt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nähern sich dem Thema Vielfalt aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln: Birgit Schollmeyer ist Buchhändlerin und gelernte Erzieherin und konnte aus der Praxis berichten. Ralf Schweikart veröffentlicht Beiträge in Fachzeitschriften und ist unter anderem Mitglied der Sonderpreisjury des Deutschen Jugendliteraturpreises. Die Autorin Anne C. Voorhoeve schrieb viele Romane für junge Leser, die unter anderem mit einer Nominierung für den deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurden. Die branchenfremde Sichtweise auf das Thema brachte Monika von der Lippe ein. Sie ist die Gleichstellungsbeauftragte des Landes Brandenburg und betreut das Leitbild „Gleiche Chancen für Frauen und Männer – und Menschen mit anderen Geschlechtsidentitäten“.
Anne C. Vorhoeve erklärte, dass die Themen ihrer Romane stets beim Schreiben entstehen, weil die Geschichte an sich ganz oben stehen würde. Die Gleichstellungsbeauftragte ergänzte, dass sie viele Bücher an ihren eigenen Kindern „ausprobiert“. Dabei habe sie festgestellt, dass die pädagogisch korrekten Bücher nicht immer deren Geschmack treffen. Auch Birgit Schollmeyer vermutete, dass manche Inhalte, die über verschiedene Geschlechtsidentitäten aufklären wollen, eher dazu dienen, das Thema bei Erwachsenen nach vorne zu bringen. Als Beispiel nannte sie das Mädchen Georgina aus der Fünf-Freunde-Reihe von Enid Blyton. Außerdem plädierte sie dafür, Bücher auch mal wegzulegen, wenn man sich nicht mit ihnen anfreunden kann.
Ralf Schweikart verwies auf Teddy Tilly. Das Bilderbuch erzählt von einem Teddybär, der lieber eine Teddybärin wäre und handelt von Anderssein und Akzeptanz. Es wurde per Crowdfunding finanziert. Er verwies darauf, dass das Thema Transgender-Teddy für Kinder zu weit weg sein, weil diese per se gar kein Geschlecht hätten und fügte die Überlegung hinzu, dass diese Geschichte möglicherweise gar nicht für Kinder passt und dass die Verantwortlichen das möglicherweise auch nie überprüft haben. Zur Frage nach der Differenzierung betonte er, dass es dennoch wichtig sei, in Kinderbüchern die ganze Gesellschaft abzubilden.
Frau Knödler fragte daraufhin die ganze Runde, ob und wie sehr Kinder- und Jugendliteratur an die Gesellschaft gebunden ist und ob wir mehr Vielfalt in dieser Literatur brauchen, um die Gesellschaft abzubilden. Anne C. Voorhoeven bekannte sich dazu, gerade an einem Buch zu schreiben, dessen Thema auf die Idee einer Lektorin zurückgeht. Darauf erwähnte die Moderatorin das Buch Mama verliebt, dass von „meine Mutter, sein Ex und ich“ erzählt, bei dem also die Eltern im Mittelpunkt stehen. Das ist ja ohnehin schon unüblich für ein Kinderbuch, aber hier handelt es sich auch noch um spezielle Eltern. Die Buchhändlerin konnte aus Erfahrung beitragen, dass Genderbücher in einer kleinen Stadt wie Braunschweig, wo sie ihren Laden hat, nicht mal das Interesse der Eltern wecken. Allerdings seien Eltern ja auch nicht die Zielgruppe und das Publikum sei in Großstädten wiederum anders zusammengesetzt. Der einzige Mann in der Runde merkte an, dass untypische Familienkonstellationen in vielen klassischen Kinderbüchern eine Rolle spielen, allerdings auch nur am Rande. Als Beispiele nannte er Pippi Langstrumpf, deren Vater unterwegs ist sowie Heidi und die Rote Zora, die beide Waisenkinder sind. Frau Schollmeyer sprach auch an, dass es in Kinderbüchern immer weniger Tabus gäbe, zum Beispiel habe die Brutalität von Kinderbüchern seit Harry Potter zugenommen. Generell könne man das Publikum nicht zu etwas erziehen, sondern allenfalls ermuntern. Das führte die LMU-Dozentin zu der Frage, welche Rolle unterschiedlich intensives Lesen beim Thema Vielfalt spiele. Bei der Beantwortung der Frage ging es auch um die Bedeutung von Klischees, die besagen, dass Jungs eher blaue Baggerbücher lesen und Mädchen eher zu rosa Prinzessinnenbüchern greifen, dazu gab es im Plenum verschiedene Ansichten. Bei der Suche nach Alternativen zu diesem Pink-Blau-Schema wurde wieder deutlich, dass man hier aufhören muss, in Schubladen zu denken. Dieser Appell richtete sich an die Verlage und an die Käufer der Kinder- und Jugendbücher, die ja meist die Eltern sind oder aus einer älteren Generation als die Leser stammen.
Anna C. Voorhoeve plädierte dafür, dass Kindern und Jugendlichen Mut gemacht werden solle und aktuelle Themen auch gerne auf Umwegen berührt werden können. Das Wichtigste sei es, Spaß und Interesse bei den Lesern zu wecken.
Ulrike Wittann