Können Bücher tatsächlich verbinden und interkulturelles Leben fördern? So formulierte Moderator Torsten Casimir, Chefredakteur des Börsenblatts des Deutschen Buchhandels, den Veranstaltungstitel zunächst in eine Frage um. Um eine Antwort bemühten sich die Kölner Kinderbuchautorin Andrea Karimé (link: https://andreakarime.de/2-Willkommen), die Leiterin der Berliner Kinderbuchhandlung „mundo azul“ Mariela Nagle (link: https://www.mundoazul.de/) und Dr. Anna Xiulan Zeeck, Verlegerin beim Desina Verlag in Oldenburg (link: https://www.desinaverlag.de/ ).

In der Gesprächsrunde ging es dann aber nicht nur um interkulturelle Literatur, sondern immer wieder auch um die Frage nach „Integrationsliteratur“ bzw. integrationsfördernder Literatur. Die Fragen des Moderators griffen da meiner Meinung nach zu kurz, da sie immer wieder auf eine einseitige Integrationsleistung abzielten, nämlich der von Kindern mit ausländischen oder multikulturellen Wurzeln in eine deutsche (Buch)Welt, die vornehmlich weiß, christlich und heterosexuell geprägt ist.

Besonders enttäuschend waren die wiederholten Fragen des Moderators nach der „Eroberung“ (Zitat!) von Marktsegmenten durch Geschichten, die speziell für Geflüchtete produziert werden. Auch andere Formulierungen offenbarten ein Denken in Schubladen und einen engen Kulturbegriff. Glücklicherweise hatten die Frauen auf dem Panel dem Einiges entgegenzusetzen.

Mehr Kunst, weniger Didaktik

Während es sich der Desina Verlag zum Ziel gemacht hat, einem deutschen Publikum die Lebenswelten von Jugendlichen in China näherzubringen, verfolgten die Autorin und die Buchhändlerin der Runde einen anderen Ansatz: Mit universell funktionierenden Geschichten und heterogenen Figureninventaren ein möglichst breites Publikum dazu zu animieren, sich in unterschiedliche Perspektiven hineinzuversetzen. Von rein didaktischen Ansätzen, die Integration oder andere Themen befördern sollen und auf Kosten von authentischen Figuren und dem Geschichtenerzählen gehen, hielten Frau Karimé und Frau Nagle herzlich wenig. „Literatur ist nicht dazu da, um Kinder zu belehren, sondern damit sie sich als Leser entwickeln und eigene Meinungen bilden können.“

Frau Karimé betonte, dass Kinder aus Syrien keine auf sie zugeschnittenen Fluchtgeschichten brauchen. Scheinbar fehle auf der Produktionsseite oft die Phantasie sich vorzustellen, dass zugezogene Kinder auch einfach neugierig auf deutsche Kulturen sein könnten. Die Eröffnung eines Marktsegments à la „Bücher für geflüchtete Kinder“ sei genau das falsche Signal, weil es Unterschiede nur weiter betoniere und sich nur an einen kleinen Kreis von Lesenden richte, anstatt an alle Kinder.

Aufmerksamkeit für versteckte Schätze

Während das deutsche Verlagswesen noch sehr „weiß“ geprägt sei, gebe es trotzdem schon viele empfehlenswerte Kinderbücher, die nicht nur weiße Figuren beherbergen und die eben nicht heteronormativ sind. Leider bekämen diese aber noch zu wenig Aufmerksamkeit. Durch die Sensibilisierung von Multiplikator_innen in Schule und Buchhandel könne man mehr Sichtbarkeit erreichen.

Neben Andres Karimés Büchern „Soraya, das kleine Kamel“ und „Tee mit Onkel Mustafa“ wurde auch ein Bilderbuch aus Australien als positives Beispiel genannt: „Mirror“ von Jeannie Baker. Dieses Buch könne man sowohl von links nach rechts als auch von rechts nach links erkunden – es funktioniert also für europäische wie auch arabische Lesegewohnheiten. In der einen Leserichtung ist eine marokkanische und in der anderen Richtung eine australisch geprägten Gesellschaft abgebildet, wobei es in beiden zu Durchmischungen kommt.

Die Buchhändler_innen im Publikum beklagten, dass Kinderbücher von ausländischen Verlagen schwieriger zu bekommen seien – und wenn es auch nicht explizit gesagt wurde, so ging es vor allem um die Konditionen der Beschaffung (Rabatte und Remissionsrecht). Frau Nagle räumte ein, dass es sich wirtschaftlich oft nicht lohne, aber für sie trotzdem den Aufwand wert sei. Sie sehe ihre Buchhandlung als eine Art Labor, in dem sie schon durch die Auswahl ihrer Bücher einen Beitrag zum interkulturellen Zusammenleben leisten will.

Lesen und vielfältige Geschichten für alle!

Insgesamt wurden in der Gesprächsrunde viele spannende Projekte der Lese- und Schreibförderung sowie viele universell funktionierende Geschichten vorgestellt. Die Runde schloss mit dem Plädoyer, nicht nur in sog. Integrationskindergärten für Themen- und Bildervielfalt zu sorgen und Kindern insgesamt mehr zuzutrauen. Dem Aufruf, allen Kindern ungeachtet ihrer sozialen, kulturellen und religiösen Herkunft Zugang zu Büchern, zum Lesen, Geschichtenerzählen und –schreiben zu ermöglichen, kann ich mich nur anschließen.

 

Sandra van Lente