Ein Begriff, der dieses Jahr häufig durch die Hallen der Frankfurter Buchmesse spukte, war Transmedia Storytelling. Ein guter Grund herauszufinden, was es mit dem Geschichtenerzählen anno 2012 auf sich hat und welche Verlage bereits Transmedia Storytelling nutzen.
Während auf den Frankfurter Buchmessen der vergangenen Jahre E-Books und Lesegeräte in aller Munde waren, hat sich mit Transmedia Storytelling nun ein neues Thema hinzugesellt. Der Begriff wurde von Henry Jenkins geprägt. Henry Jenkins ist Medienwissenschaftler und aktuell Professor an der University of Southern California. In einem Blogeintrag aus dem Jahr 2007 definierte er Transmedia Storytelling als einen Prozess, bei dem einzelne Bestandteile einer Geschichte über mehrere Medienkanäle verteilt erzählt werden, um ein koordiniertes Unterhaltungserlebnis zu erschaffen.
Hilfe, die Zombies kommen!
Thomas Zorbach ist Geschäftsführer der Agentur vm-people und auch er beschreibt Transmedia Storytelling als eine Form Geschichten zu erzählen, wobei mindestens drei Plattformen genutzt werden, sodass sich die Komponenten gegenseitig ergänzen. Die auf Virales Marketing, Transmedia Storytelling und Social Media Management spezialisierte Agentur vm-people hat auch die aktuelle Kampagne für den Jugendroman „Untot – Lauf, solange du noch kannst“ konzipiert, der im Dezember bei Chicken House erscheinen wird. In dem Debütroman von Kirsty McKay geht es um Schüler, die sich auf einem Skiausflug in Zombies verwandeln. Der Erzählkosmos wird von dem Buch vorgegeben, jedoch durch Aktivitäten auf weiteren Plattformen wie einer eigenen Website (der Zentrale zur Abwehr Untoter), Facebook, Twitter, Tumblr und einem mit der Fan-Community gedrehten Kurzfilm erweitert. Höhepunkt soll die als Event geplante feierliche Buch- und Filmvorstellung werden. Thilo Schmid, Key Account Manager beim Carlsen Verlag und dessen Imprint Chicken House, erzählt, dass eine solch ungewöhnliche Kampagne den Vorteil habe, mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen. Der Aufwand lohne sich besonders bei dem Auftakt zu einer Serie, um eine Community aufzubauen und somit nachhaltig werben zu können. Die Inszenierung müsse jedoch zum Buch passen, betont Zorbach, sonst laufe man Gefahr, die Leser des Romans zu enttäuschen. Weitere Schwierigkeiten sind die Aktualität und Interaktion mit den Lesern, die langfristige Planungen kaum möglich machen. Daher ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Verlag und Agentur wichtig. Beim Carlsen Verlag bildet eine Mitarbeiterin die Schnittstelle zwischen Agentur, Marketing, Vertrieb, dem Partner Mayersche Buchhandlung sowie der Zentrale zur Abwehr Untoter.
This is not a game
Wer Transmedia Storytelling nutzt, scheint zudem ungern zuzugeben, dass alles nur erfunden ist. Und so gibt es die Zentrale zur Abwehr Untoter natürlich ebenso wirklich wie die Detektivin Adele aus dem Jahr 1900. Adele ist Mitglied von Das wilde Dutzend, Loge und Verlag für Rätselhaftes und Verborgenes. Neben ihr gehören auch die Verlegerinnen Dorothea Martin und Simone Veenstra zum Wilden Dutzend. Der Berliner Kleinverlag ist wohl das beste Beispiel für konsequentes Transmedia Storytelling in der Verlagsbranche. Das erste Buch „Die Guten, die Bösen und die Toten“ erschien 2010 und wird durch ein Glossar auf der Website des Verlags ergänzt. Es ist eine Sammlung von schaurig-schönen Versen des plötzlich verschwundenen Totenfotografen Johan von Riepenbreuch. Die viktorianische Detektivin Adele begibt sich auf die Suche nach Riepenbreuch. Adele kann man bei Rollenspielabenden in Adeles Salon begegnen, die im verlagseigenen Logenladen am Prenzlauer Berg stattfinden. Sie ist jedoch ebenso auf Facebook oder Video-Plattformen anzutreffen. Auch in dem Buch „Wer kann für böse Träume – The Secret Grimm Files“ ist die Legendenbildung um den Verlag eng mit den Geschichten des Buches verknüpft. Neben den von den Grimmschen Märchen inspirierten Geschichten finden sich dort Notizen, Briefauszüge und Lexikoneinträge der Logenmitglieder – Realität und Fiktion verschwimmen. Das „Grimms Dinner“ lud Freunde und Fans des Wilden Dutzends zu einer Art Krimi-Dinner rund um Märchen in den Logenladen ein. Die Leser und Fans des Wilden Dutzend sind aktiv beteiligt und haben die Möglichkeit zu interagieren. Partizipation sei ein zentraler Aspekt beim Transmedia Storytelling, so die Verlegerin und Theaterwissenschaftlerin Dorothea Martin.
Rätseln und Geocaching für Hobbit-Freunde
Mitmachen lautet auch die Devise beim Hobbit-Quest. Mit einem interaktiven Gewinnspiel möchte der Klett-Cotta Verlag den Tolkien-Fans das Warten auf den Start der Verfilmung von „Der Hobbit“ im Dezember verkürzen. Tolkiens Werke sind ein fester Bestandteil des Verlagsprogramms von Klett-Cotta und der Hobbit-Quest bietet die Möglichkeit, insbesondere die Filmfans an das Buch heranzuführen. Die transmediale Kampagne wurde von der Düsseldorfer Agentur ergo kommunikation entworfen und mit dem Designer Ulrich Hinz sowie dem Texter Michael Wolf umgesetzt. Der Hobbit-Quest startete im März; insgesamt gibt es neun Etappen. Dies ermöglicht es mit den netzaffinen Fans über einen längeren Zeitraum in Kontakt zu bleiben. „Wir möchten das Hobbit-Jahr und das Filmereignis mit den Fans feiern“, erklärt Michael Hinz, Geschäftsführer von ergo kommunikation. Die Teilnehmer können auf dem Onlineportal jeden Monat die von der Welt des Buches inspirierten Landschaften durchstreifen. Dabei gilt es Rätselfragen rund um den Hobbit zu beantworten, am Ende das versteckte Lichtjuwel zu finden und die Welt zu retten. Eine zweite Spielebene erstreckt sich bis in die reale Offline-Welt hinein, denn den Weg zu dem Lichtjuwel weist eine Granittafel. Deren Bruchstücke sind quer über Deutschland, Österreich und die Schweiz verteilt und müssen zunächst von Geocachern gefunden werden. Bei jeder Etappe werden Preise verlost und am Ende winkt als Hauptpreis eine Reise zu dem Ort, an dem das Lichtjuwel versteckt ist. Wichtig sei es, auf die Kommentare und Reaktionen der Teilnehmer einzugehen, so Kirsten Brückmann, Marketing-Managerin bei Klett-Cotta. Dazu nutzt der Verlag seine Hobbit-Fanpage auf Facebook.
Drei junge Buchwissenschaftler auf der Suche nach Jonathan
Ohne eine Facebook-Seite kommt auch die transmediale Kampagne für den Jugendkrimi „Disconnected – Da war’n es nur noch drei“ nicht aus, der im Franckh-Kosmos Verlag erschienen ist. In dem Krimi geht es um drei Schüler, deren Freund Jonathan bei einer Recherche für einen Zeitungsartikel verschwindet. Durchgeführt wurde die Kampagne „Findet Jonathan!“ von den jungen Buchwissenschaftlern Sabine Hafner, Hanna Hartberger und Dennis Schmolk, die sich zu Die Erzähler zusammengeschlossen haben. Die Kampagne lief von Mai bis Juli und wurde in Form eines Alternate Reality Games gestaltet. Dabei handelt es sich um ein Spiel zwischen Realität und Fiktion, bei dem verschiedene Medien eingesetzt werden. Bei „Findet Jonathan!“ sollten die Mitspieler den Verbleib des Verschwundenen herausfinden. Ein eigens gedrehter Buchtrailer bildete das sogenannte Rabbit Hole, also den Einstieg in das Spiel. Der Trailer wurde über soziale Netzwerke verbreitet und leitete die Spieler des Alternate Reality Games auf eine Facebook-Seite, die eine Freundin von Jonathan für die Suche nach ihm eingerichtet hatte. Ergänzt wurde der Erzählkosmos durch den Blog eines Verdächtigen und die Website der Brauerei, über die Jonathan recherchiert hatte. Den Abschluss der Transmedia-Kampagne bildete eine Leserunde auf LovleyBooks.
Zunächst war nur der Buchtrailer geplant gewesen, doch die mit Social Media erfahrenen Buchwissenschaftler konnten Kosmos von den Vorteilen einer transmedialen Kampagne für diesen ersten Band einer sechsteiligen Reihe überzeugen. Denn neben dem direkten Kontakt zu einer internetaffinen Zielgruppe, führe ein transmediale Kampagne auch zu einer längeren Verweildauer der Teilnehmer in der Geschichtenwelt, erklärt Dennis Schmolk, aktuell Lektor bei dotbooks.
Nur ein Hype oder die Zukunft des Erzählens?
Im Moment sei Transmedia Storytelling ein Hype, dem eine Experimentierphase folgen werde, meint Thomas Zorbach, erst danach werde sich zeigen, ob sich transmediales Erzählen durchsetzten – und monetarisieren – werde. Dorothea Martin sieht in Transmedia Storytelling zumindest eine Zukunft des Geschichtenerzählens, die durch die Medienkonvergenz und das Bedürfnis heutiger Mediennutzer mitzureden, gefördert werde. Allerdings eigne es sich nicht für alle Stoffe und Themen. „Keine Zukunft ohne Hype“, bringt es Dennis Schmolk auf den Punkt. Er vermutet, dass Geschichten, die Teil eines Erzählkosmos sind, in den kommenden Jahrzehnten vor allem transmedial erzählt werden.
Dominique Conrad