Melinda Nadj Abonji und Verleger Jochen Jung© Norsin Tancik

Melinda Nadj Abonji und Verleger Jochen Jung
© Norsin Tancik

Die Verleihung des Deutschen Buchpreises hatte in diesem Jahr für eine Überraschung gesorgt: Melinda Nadj Abonji wurde für ihren Roman „Tauben fliegen auf“ (Jung und Jung) ausgezeichnet. Wir verlosen 5 Exemplare.

Melinda Nadj Abonji ließ die bekannten Namen Jan Faktor, Thomas Lehr, Doron Rabinovici, Peter Wawerzinek und Judith Zander hinter sich. Auf der Frankfurter Buchmesse hat Melinda Nadj Abonji gemeinsam mit ihrem Verleger Jochen Jung im Börsenblatt-Café ein Interview gegeben und erzählte von ihrer Arbeit mit dem österreichischen Verlag, ihrem Verständnis von Heimat und von der Musik in ihrem Roman.

Großer Ansturm bei den Signierstunden von Melinda© Norsin Tancik

Großer Ansturm bei den Signierstunden von Melinda
© Norsin Tancik

„Wir haben sehr viele Stunden miteinander verbracht und viele intensive Gespräche geführt. Ich hätte nie gedacht, dass es in einem Verlag so laufen könnte“, erinnerte sie sich an die Zeit zurück, als ihr Roman noch ein unfertiges Manuskript war. Die Verleger und vor allem die Lektorin haben sich intensiv mit ihrem Text auseinandergesetzt. Nach dem Druck und der Auslieferung folgte die Nominierung für die Longlist, dann für die Shortlist und schließlich gewann sie den Deutschen Buchpreis 2010. „Wir waren stumm vor Überraschung und Freude“, beschrieb der Verleger Jochen Jung den Moment, als der Name ihrer Autorin verkündet worden war und fügte schmunzelnd hinzu: „Natürlich wussten wir, dass sie gewinnen wird.“ Es mussten erst sechs Buchpreise verliehen werden, bevor ein kleiner Verlag diese Auszeichnung bekommen hat. „Die Mauer ist nun durchbrochen und unser Sieg ist deshalb auch eine Auszeichnung für alle anderen kleinen Verlage.“ Jung und Jung hat mit dem Erfolg ihrer Autorin einen Kraftakt bewältigen müssen. Ursprünglich ist die erste Auflage mit 1.500 Büchern gedruckt worden. Nach der Verkündung des Buchpreis-Gewinns stieg die Nachfrage rapide an und liegt mittlerweile bei 95.000 Exemplaren. „Wir steuern die 100.000er-Grenze an“, so der Verleger mit einem sehr zufriedenen Gesicht: Nur Ruhe zeichnete sich dort ab, kein gewöhnlicher Buchmesse-Stress oder gar logistische Überforderungen. „Nichts ist schöner, als solche Gespräche führen zu müssen“, strahlte Jochen Jung zum Schluss.

Melinda Nadj Abonji© Norsin Tancik

Melinda Nadj Abonji
© Norsin Tancik

Immer wieder wurde Melinda Nadj Abonji auf die autobiografischen Züge in ihrem Roman angesprochen. Während des Interviews räumte sie mit einigen Spekulationen auf. »Meine Ankunft war vielleicht anders. Ich weiß es nicht, denn ich kann mich nicht erinnern.« Der Bruch mit ihrer Heimat war für sie so stark gewesen, dass sie sich an kaum etwas erinnert. Schließlich war Melinda Nadj Abonji damals fünf Jahre alt gewesen. Deshalb ist »Tauben fliegen auf« kein autobiografischer Roman, obwohl einige Einzelheiten wahr sind. „Ich fand es sehr spannend mir vorzustellen, wie es gewesen sein könnte. Es war ein sehr schönes Gefühl, Figuren und Situationen zu erfinden und sich in ihre Situation zu versetzen“, erinnerte sie sich an die Zeit des Schreibens zurück. Für Melinda Nadj Abonji war es eine sehr intensive Arbeitszeit gewesen.

Die Hauptfigur Ildiko wird von der jüngeren Schwester Nomi als Mischwesen bezeichnet, das durch verschiedene Welten wandert. Während des Interviews wurde die Autorin deshalb nach ihrer Definition von Heimat gefragt. „Heimat ist für mich nicht an eine Nation gebunden, sondern an Sprachen und auch an die Musik.“ Melinda Nadj Abonji liebt die ungarischen Lieder und auch die Sprache, die sie allerdings nie in der Schule gelernt hat. Gerade deshalb hat sie ihre Texte auf Deutsch geschrieben. Sie hat zwar experimentiert und einige Kurzgeschichten auf Ungarisch geschrieben, allerdings seien sie voller Fehler gewesen. „Sie waren witzig und ich habe beim Vortragen Narrenfreiheit genossen“, sagte sie augenzwinkernd. Melinda Nadj Abonji spielt selbst Geige und singt gerne. Ihre Liebe zur Musik hat sie in ihren Roman eingearbeitet. „Jedes Kapitel ist in einer eigenen Tonart geschrieben und hat einen ganz eigenen Rhythmus“, verriet sie. Die Autorin hat zudem ungarische Redewendungen und Lieder übersetzt und auch auf falsche Dialekte nicht verzichtet.

Sie hat kein Thesenbuch geschrieben, obwohl sie viele Konflikte der Jugoslawien-Kriege angedeutet hat. „Es ist ein wunderbar erzählter Roman“, betonte Jochen Jung und dieser wird in ihrer ungarisch-serbischen Heimat Centa stürmisch gefeiert. „Sie waren gerührt und haben Tränen geweint“, zeigte sich Melinda ebenfalls überrascht und gerührt über die Anteilnahme. Bis zum nächsten Sommer wird die Übersetzung ins Ungarische fertig sein und bereits jetzt ist ein großes Fest zusammen mit der Autorin geplant. Haben die Menschen der ungarischen Minderheit in der Vojvodina in Serbien überhaupt eine Vorstellung, um was es in ihrem Roman gehen könnte? Melinda bejahte. Sie hat zahlreiche Interviews bei den ungarischen Zeitungen und Fernsehsendern gegeben. „Viele von dort können auch gut Deutsch“, schloss sie.

Wesentlich frostiger war die Buchpreisträgerin, als sie auf die Reaktionen in der Schweiz angesprochen worden ist. Da wurden ihre Lippen schmal, und die Augen blickten zurück in eine Vergangenheit, die wohl nicht leicht gewesen ist. „Lange Zeit war ich in der Schweiz Bosnierin, Serbin, Ungarin gewesen. Andauernd wurde mein Name falsch geschrieben. Nun habe ich den Buchpreis gewonnen und bin plötzlich zu einer Züricherin geworden. Ich könnte jetzt viel über die Fremdenfeindlichkeit in der Schweiz erzählen – ich mache es aber nicht.“

In diesem Jahr feiert der Jung und Jung-Verlag nicht nur den Gewinn des Buchpreises, sondern auch sein zehnjähriges Jubiläum. Verändert die Auszeichnung nun die Perspektive und die Pläne des Verlags? Jochen Jung verneinte. „Der Erfolg ist für uns eine große Beruhigung, aber wir wollen so bleiben, wie wir sind. Vielleicht mit ein bisschen mehr Selbstbewusstsein, mehr Ruhe und mehr Gelassenheit.“

Norsin Tancik

 


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Schreib uns eine E-Mail mit deiner Adresse und Betreff „Tauben fliegen auf“ an info[at]jungeverlagsmenschen.de. Teilnahmeschluss ist der 15. November 2010. Teilnahmeberechtigt sind alle Mitglieder der Jungen Verlagsmenschen e.V. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Wir danken dem Verlag Jung und Jung, dass er die Bücher zur Verfügung stellt.