Die Leiterin des Goldmann Verlags berichtet über ihren Einstieg in die Verlagsbranche und ihren Arbeitsalltag.
Frau Best, Sie sind heute Leiterin des Goldmann Verlags. Was war Ihr erster Job?
Hilfskraft bei Ausgrabungen in Augsburg. Wenn man in Augsburg irgendetwas baut, stößt man beim Graben oft nach einigen Metern auf römische Ruinen. Meistens bewegt sich in der Altstadt vor der Baukolonne eine Kolonne von Archäologen her. Und da habe ich im Sommer während der Schulferien mal gejobbt.
Und Ihr erster Job in der Verlagsbranche?
Ich war studentische Aushilfe bei Langenscheidt.
Wie sieht ein Tag als Verlagsleiterin aus?
Wenn man das so genau sagen könnte … Das Einzige, das immer gleich bleibt, ist die Hoffnung, dass man das, was man am Tag vorher nicht geschafft hat, dann am nächsten Tag schafft. Doch dann kommt einem das wahre Leben dazwischen: Es ruft ein Autor an und hat ein Problem, oder ein Agent will etwas besprechen. Oder man findet in den Mails, die über Nacht eingegangen sind, etwas, das man bearbeiten muss. Arbeiten nach Plan ist meistens nicht durchzuhalten, so dass die tägliche Arbeit darin besteht, im Chaos nicht den Überblick zu verlieren, zwanzig Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten und auch die aus dem Augenwinkel zu beobachten, die einem schon drei Tage vorher runtergefallen sind. Besonders im Lektorat ist das schwierig, weil man eben an einem Knotenpunkt sitzt und mit allen Abteilungen in ständigem Austausch steht. Das kann man nicht steuern.
Haben Sie noch Zeit, einzelne Buchprojekte von Anfang bis Ende zu betreuen? Und redigieren Sie auch noch selbst?
Ich redigiere eigentlich nur noch einen einzigen deutschen Autor: Wladimir Kaminer. Für mehr fehlt mir leider die Zeit. Außerdem betreue ich zwischen zehn und fünfzehn Taschenbüchern pro Programmzeitraum, 50 Prozent deutsche Erstausgaben, 50 Prozent Repro-Titel. Und dann habe ich immer noch so zwei bis vier Titel im Hardcover. Das variiert. Ich versuche immer, mich so viel wie möglich direkt mit den Büchern zu beschäftigen und nicht in organisatorischer Arbeit zu ertrinken.
Wie wird man Verlagsleiterin?
Viele steigen ja schon während des Studiums über eine freie Mitarbeit ins Verlagswesen ein. So ist das auch bei mir gewesen. Ich habe in der Presseabteilung gejobbt, wollte aber eigentlich ins Lektorat, ohne eine allzu klare Vorstellung davon zu haben, was das bedeutet. Dann wurde damals, als ich gerade mit dem Studium fertig war, bei Goldmann eine Lektoratsassistentin gesucht und ich bekam die Stelle. Und so ging das eigentlich immer weiter, von der Lektoratsassistenz zur Lektorin und schließlich zur Verlagsleiterin.
Welche Eigenschaften muss man als Verlagsleiterin mitbringen?
Ich glaube, neben einer gewissen Stresstoleranz ist die Grundvoraussetzung die Liebe zu Büchern. Man muss sich einfach gerne mit den Themen und Inhalten befassen. Aber das treibt ja auch die meisten in diesen Beruf. Viele kommen aus einem Literaturstudium. Man hat Literatur studiert und findet, dass Bücher etwas Großartiges sind, und dann überlegt man sich, wie man einen Beruf daraus machen könnte. Und da gibt es einfach nicht so viele Möglichkeiten. Aber wenn man dann tatsächlich in einem Verlag landet, ist man ganz überrascht, dass es geklappt hat.
War Lektorin Ihr Traumberuf?
Ja. Das wollte ich immer werden.
Welche Fächer haben Sie studiert?
Anglistik, Amerikanistik und Germanistik. Zeitweise noch Geschichte und Philosophie. Aber das habe ich nicht so stringent verfolgt. Man hat uns damals immer gesagt, die Chance, eine Stelle in einem Verlag zu finden – obendrein noch als Lektorin –, wären verschwindend gering. Ich habe trotzdem immer wieder versucht, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Und bei Langenscheidt hat es dann zum ersten Mal funktioniert.
Die meisten Berufsberater würden einem wohl immer noch davon abraten, eine Karriere in der Branche anzustreben …
Wir sind der Beweis: Es geht doch! (lacht)
Der schönste und der schrecklichste Moment Ihrer beruflichen Laufbahn?
Ich glaube, das war ein und derselbe. Ich war noch gar nicht lange im Lektorat, als ich Helen Fieldings Roman „Bridget Jones’ Diary“ zum Prüfen bekam. Und ich fand das Buch toll – einfach umwerfend komisch! Und dann durfte ich in die Auktion einsteigen und habe den Roman am Ende auch bekommen. Einerseits fand ich das natürlich wunderbar und aufregend, außerdem hat mich das Vertrauen meiner Vorgesetzten geehrt. Aber gleichzeitig dachte ich auch angesichts der Summe: Was hast du getan? Um Himmels Willen! Was, wenn das keiner lesen will? (lacht)
Und dann wollten es doch ein paar Leute lesen.
Ja. Da gehört natürlich auch Glück dazu. Aber ich weiß noch, dass ich da ein paar unruhige Nächte hatte.
War das eine bewusste Entscheidung, für einen so großen Konzern wie Random House zu arbeiten?
Nein, das hat sich so ergeben.
Welche Vor- und Nachteile hat es, in einer großen Verlagsgruppe zu arbeiten?
Bei Random House kann man einfach ungeheuer viele Erfahrungen sammeln. Man bekommt auch sehr viel von der Arbeit der anderen Abteilungen und Verlage mit und sieht nicht nur die eigenen Strategien oder Erfolge und Misserfolge. Außerdem ist man von Anfang an mit so vielen Leuten vernetzt, wie man es sonst vielleicht erst nach vier oder fünf Jahren wäre. Das ist ein Riesenvorteil.
Wie sehr ist die Auswahl der Buchprojekte von wirtschaftlichem Denken beeinflusst?
Natürlich bedenkt man die Wirtschaftlichkeit immer mit, auch wenn man manchmal ein Buch einkauft, bei dem man nicht wirklich sicher ist, dass es ein Verkaufserfolg wird. Manchmal schärft auch ein weniger gut verkäuflicher Titel das Profil eines Verlages. Und ein klares Profil trägt wiederum zum wirtschaftlichen Erfolg bei. Es geht jedenfalls nicht darum, sich über seine Buchauswahl selbst zu verwirklichen. Wenn ich nur Bücher machen würde, die ich persönlich ungeheuer kostbar finde, egal, ob meinen Geschmack noch jemand teilt – das würde nicht funktionieren. Natürlich beurteile ich die Qualität von Büchern nach meinen eigenen Maßstäben – das ist notgedrungen ein subjektives Geschäft. Es geht aber nicht darum, aus Vorlieben oder gar Eitelkeiten ein Programm zu formen.
Haben Sie noch die Muße, in der Freizeit Bücher zu lesen, die nichts mit Ihrer Arbeit zu tun haben?
Nein, leider wirklich nur noch im Urlaub.
Haben Sie ein Lieblingsbuch?
Eines meiner Lieblingsbücher ist ein Roman, den ich im Manhattan Verlag machen konnte. Und ich war überzeugt, dass ihn noch mehr Leute lustig finden würden, nicht nur ich. Aber das Buch fand anscheinend überhaupt keiner komisch. Das war Chris Bachelder, „Bär gegen Hai“. Junge, hat das nicht funktioniert! (lacht)
Ihre Ziele für dieses Jahr?
Dass der neue Roman von Damon Galgut gut ankommt, auch ein Lieblingsbuch von mir: „Der Betrüger“. Mein Ziel ist, dass auch die ganz besonderen Bücher, die wir im Programm haben, ihr Publikum finden. Ich kann ein Jahr beruhigt abschließen, wenn ich das Gefühl habe, den Büchern wurde auf dem Markt Gerechtigkeit zuteil. Das passiert für meinen Geschmack nicht oft genug. Der Markt würde natürlich sagen, ein bestimmtes Buch hat zu Recht keine Leser gefunden. Aber man hat da ja so seine eigenen Vorstellungen.
Angesichts neuer Entwicklungen in der Branche, was glauben Sie, wie sieht die Zukunft des Buches aus?
Ich glaube nicht, dass das E-Book der Untergang des Abendlandes ist. Und ich bin überzeugt, dass das gebundene Buch daneben immer Bestand haben wird. Das E-Book hat sicher diverse Vorteile und wird sich auch in gewissem Rahmen durchsetzen. Unter anderem vielleicht bei Viellesern, die sich überlegen: „Muss ich den nächsten Teil einer Serie des Autors XY wirklich noch als Buch kaufen oder mir lieber sofort runterladen? Dann kann ich den Roman auch wieder löschen, wenn ich ihn gelesen habe.“ Der Markt wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit erheblich verändern. Die Frage ist: Welche Rolle werden die Verlage dabei spielen? Das Problem am E-Book ist ja, dass man den Verlag als Hersteller des Texts und als Vertrieb womöglich nicht mehr braucht.
Aber Lektoren wird man wohl immer noch brauchen …
Das hoffe ich sehr. Zumindest als Bollwerk gegen die vielen mittelmäßigen und schlechten Bücher, die geschrieben werden. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung hier im Haus. Wir haben Besuchern die Arbeit des Lektorats erklärt und dazu eine Übersicht zur Programmplanung an die Wand geworfen. Da fragte einer der Besucher: „Und diese Bücher haben Sie alle gelesen?“ Da bemerkte man ein grundsätzliches Missverständnis in Bezug auf unsere Arbeit. Ich habe noch viel, viel mehr gelesen. Denn für jedes Buch, das im Programm erscheint, habe ich vierzig oder fünfzig gelesen, die ich verworfen habe. Neben der Umsetzung von Buchprojekten ist mit Sicherheit das Ablehnen von Manuskripten eine der wichtigsten Aufgaben eines Lektors.
Was möchten Sie Berufsanfängern mit auf den Weg geben?
Nie aufgeben und nie den Glauben an das Gute, Wahre und Schöne verlieren! Ab und zu setzt es sich tatsächlich durch. Ich glaube, das ist es auch, was einen immer wieder antreibt: Sich in ein Buch zu verlieben, es umzusetzen und zu sehen, dass andere es auch großartig finden. Leider funktioniert das nicht immer. Auf dem Weg vom Manuskript zum Bucherfolg kann einiges passieren, und vieles kann man gar nicht beeinflussen. Manchmal fehlt einfach nur ein wenig Glück oder die richtige Sternenkonstellation. Aber es gibt auch viele Momente, in denen man einfach glücklich ist, diesen Beruf zu haben. Wenn man zum Beispiel einen wunderbaren neuen Autor entdeckt oder ein Manuskript liest, das einen sofort begeistert. Dann denkt man: „Damit erobere ich die Welt!“
Interview: Gesa Jung
Kurzvita von Andrea Best
Geboren: 1965 in Regensburg
Studium der Anglistik, Germanistik und Amerikanistik in Augsburg, Illinois und München
April 1995: Zunächst Lektoratsassistentin beim Goldmann Verlag, München, später Lektorin für Belletristik im Goldmann Taschenbuch Verlag
Ab Januar 1998: Cheflektorin des Goldmann Verlags (Belletristik)
Seit März 2003: Verlagsleitung Goldmann TB und Manhattan Hardcover