Elf Uhr ist relativ früh für einen Messetermin, findet Hubert Winkels, Juryvorsitzender des Preises der Leipziger Buchmesse. Dennoch ist es voll am arte-Stand in der Glashalle. Winkels spricht von einer „Begeisterung über das Normalmaß hinaus“, seit am Donnerstag die Preisträger bekannt gegeben wurden.
In der Kategorie Übersetzung wurde Mirjam Pressler ausgezeichnet, die „Judas“ von Amos Oz aus dem Hebräischen übersetzt hat. Das Buch stellt Judas nicht als Verräter dar, sondern vielmehr als „ersten Christen“: Er habe wirklich an Jesus geglaubt, daran, dass er auferstehen würde. Eine Position, die sich ganz ähnlich auch in Rabah Ameur-Zaïmeches Film „Histoire de Judas“, vorgestellt auf der diesjährigen Berlinale, findet. Den Preis für Essayistik/ Sachbuch erhielt Philipp Ther für „Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europa“. Die „verblüffendste Entscheidung“ (so Winkels) und Freude für Lyrikliebhaber ist aber die Auszeichnung von Jan Wagner für „Regentonnenvariationen“ in der Sparte Belletristik. Dass ein Lyrikband überhaupt nominiert wurde, ist eine Premiere.
„Im Tagesschau-Interview wurde ich gefragt: Wie konnten Sie Lyrik auszeichnen? Es ist eine Sensation“, sagt Winkels, sichtlich erfreut. Damit tritt die Lyrik aus dem interessanten Nischendasein, das sie sonst führt, heraus. Jan Wagner sagt über seine Arbeit, er interessiere sich für unscheinbare Dinge, die sich als Reichtum herausstellen könnten. Gedichte könnten aus allem entstehen – egal ob Wortspiel, historische Figur, Beobachtung – in einer Verbindung mit dem Inneren des Dichters. So könne er jeden Tag über etwas stolpern, das zum Gedicht wird und ihn selbst überrascht.
Marcella Melien