Podiumsdiskussion zur Frage „Wozu literarische Reportagen in Zeiten von Fake News?“

Messereport LBM 2023

von Stefan Katzenbach

Das Genre der literarischen Reportage hat im Dezember 2018 mit dem Skandal um den ehemaligen Spiegel-Journalisten Claas Relotius, der einige seiner Reportagen frei erfand, viel Aufmerksamkeit erfahren. Doch welche Rolle spielt diese journalistische Textform in Zeiten von Fake News? Diesen Fragen ging eine Diskussionsrunde am Buchmessen-Freitag in Leipzig nach.

Was eine literarische Reportage ausmacht, das weiß Gabriel Proedl ganz genau:
„Die literarische Reportage ist ein Text, der eine Kurzgeschichte sein könnte, ihr Anspruch ist die Wahrheit“, sagte der 25-Jährige im Rahmen der Veranstaltung „Wozu literarische Reportagen in Zeiten von Fake News?“. Proedl schreibt nach einer Ausbildung an der Reporterschule mittlerweile für die Zeit, die FAZ sowie den Stern. Außerdem hat er im Zuge der Relotius-Affäre die Erzählagentur „Hermes Baby“ gegründet, die Texte für Zeitungen, Radio und Film produziert und ein Mentorenprogramm für angehende Journalist:innen anbietet.
Allein sachlich soll die literarische Reportage aber nicht sein: „Die literarische Reportage soll unterhalten, da kann man abtauchen, die Leser wollen das, wollen auch auf eigene Gedanken kommen“, so Proedl. Die Ich-Perspektive sei dafür eine gute Wahl, in dieser könnten die Leser:innen an die Hand genommen und durch die Geschichte geführt werden.

Vertrauen in das Genre der literarischen Reportage

Barbara Zeman sieht das ähnlich, über die Ich-Perspektive könnten Sinnesempfindungen und Gefühle transportiert und die Distanz zwischen Erzählinstanz und Leser:innen abgebaut werden, sagte sie.  Zeman ist Journalistin und Autorin und war 2022 für den Ingeborg-Bachmann-Preis nominiert.
Neben der Wahl der Perspektive gibt es allerdings noch einige Punkte, die man beim Schreiben einer literarischen Reportage beachten sollte: „Man darf journalistische Regeln nicht brechen, man braucht eine gute Recherche, der Text sollte wenig Interpretationsspielraum haben, in der Dramaturgie ist man frei, Dramaturgie folgt immer aber Regeln, die Erzählhaltung soll reflektiert werden“, so Gabriel Proedl. Vor dem Schreiben könne es helfen, sich die Frage zu beantworten, warum man selbst der Erzähler sei.

Das Genre der literarischen Reportage habe Potenzial, da waren sich alle in der Runde einig. Auch Sara Geisler, die die Frage aufwarf, welche Texte in Zukunft in Zeitungen veröffentlicht werden sollten. Wenn man Vertrauen in Literarische Reportagen habe, dann brauche man keine Sensations-Storys mehr, so die 33-Jährige. Geißler ist Chefredakteurin von fluter.de, dem Online-Jugendmagazin der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB).

Ähnlich sah das Gabriel Proedl, der eine Lanze für die literarische Reportage brach und dazu aufrief, auf das Genre der literarischen Reportage zu setzen, auch vonseiten der Verleger:innen: „Man sollte versuchen auf gute Geschichten und Budgets zu gehen.“

Die Diskussion um das Genre rund um die Causa Relotius habe der literarischen Reportage nicht unbedingt geschadet, so Proedl: „Ich wusste, dass die literarische Reportage als Format Qualität hat, Relotius hat einen Wandel ausgelöst, Redaktionen vertrauen Geschichten mit Brüchen“. Deswegen habe er auch seine Erzählagentur gegründet.

Journalisten als Schriftsteller und die Kraft literarischer Reportagen

Wenn sich literarische Reportagen und Belletristik so ähnele, sei es dann eine logische Konsequenz, dass Journalisten oft Romane schrieben, wollte die Moderation Mia Eidlhuber wissen. Schließlich gäbe es da prominente Beispiele, wie bspw. Truman Capote, Hunter S. Thompson oder aktuell Eva Menasse.

„Das ist mutig, wenn man das macht, einen Roman zu schreiben ist sehr exponierend. Man geht hinaus aus der Betrachterrolle, hin zu jemandem, der kritisiert werden kann“, so Barbara Zeman, die beide Seiten kennt.

Gabriel Proedl wies noch auf einen anderen Aspekt des Seitenwechsels hin: „Der Schritt ist groß und furchteinflößend, oft wollen Sie (die Journalisten, Anmerk. d. Red.) Bücher journalistisch schreiben, aber das ist ein Missverständnis.“

Und was ist das Ziel beim Verfassen einer literarischen Reportage? „Ich will meinen persönlichen Zugang mitteilen, Ziele und Wünsche erfüllen und zu Handlungen anregen“, so Gabriel Proedl. Gelungen sei ihm das beispielsweise bei einem Leser, der nach der Lektüre einer seiner Texte eine lange geplante Reise mit seiner Großmutter machte. Für Proedl geht es beim Schreiben auch darum, wie gesellschaftliche Themen (z.B. der Ukraine-Krieg), möglicherweise auch durch eine literarische Reportage, in der Popkultur Einzug halten, können, um etwas zu verändern. Sein Ziel sei es dabei nicht, alle Probleme direkt zu lösen, vielmehr wolle er Im Kleinen etwas verändern, so Proedl.