Die Unerbittlichkeit des Juryurteils
Den Kopf mit den Händen gestützt, die Lippen zusammengepresst, stellt sich Anousch Mueller dem Juryurteil am Ende des 1. Wettbewerbtages des Ingeborg-Bachmann-Preises. Ihre Enttäuschung über die deutlichen Worte der Kritiker kann die zierliche Autorin nicht verbergen. Verständlich, gerät doch ihr Beitrag „Falunrot“ in ein erbarmungsloses Kreuzfeuer der Kritik.
Die Geschichte einer unbekannten Ich-Erzählerin, welche sich auf einer „Abschiedsreise“ von ihrem autoritären Freund Leo befreit, hält Hubert Winkels für einfach gestrickt. „Das Klappern des Schematismus ist zu laut, um einen angenehmen Ton vernehmen zu können.“, lautet sein vernichtendes Urteil. Daniela Strigl hingegen versteht die Motivation der Ich-Erzählerin nicht, die Reise überhaupt anzutreten. Burkhard Spinnen attestiert dem Text zwar eine hohe Souveränität, doch fehle ihm Authentizität und „die hohen Sätze haben die Tendenz zu verunglücken“, so Spinnen. Hildegard Keller hält die Stimme des Textes für unausgereift und Paul Jandl ist nicht klar, welche Stimme überhaupt spricht.
Bei solch einer niederschmetternden Kritik, sollte es die Jurorin sein, welche die Autorin eingeladen hat, die ihr schützend zur Seite steht. Schließlich muss sie ein Potential gesehen haben. Den Text selbst verteidigt Meike Feßmann auch unerbittlich. So führt sie u.a. den „erweiterten Ton“ des Textes, seinen „großartigen Humor“ oder das „eindrucksvoll gezeichnete Bild Norwegens“ an, welche die Erzählung Muellers zu einem „ausgezeichneten Text“ formen. Allerdings verteidigt Meike Feßmann einzig und allein den Text selbst und rechtfertigt damit lediglich ihre Textwahl. Als Befürworterin Anousch Muellers tritt sie in keinster Weise auf. Ihr Urteil: „Der Text ist klüger als die Autorin.“ Damit lässt sie zugunsten ihrer eigenen Reputation die Autorin über die Klippe springen und versetzt ihr den letzten Stoß, indem sie abschließend darauf hinweist, dass man sich nur eine andere Stimme beim Lesen vorstellen müsse und greift somit auch noch die Vortragsweise Anousch Muellers an.
Die Kritik ist das Geschäft der Kritiker. Allerdings kann man sich entscheiden, ob diese bei einem Text fast ausschließlich vernichtend formuliert wird, während andere eher mit Samthandschuhen angefasst werden. Hinsichtlich dieses Textes verzeiht die Jury jedenfalls keine Fehler. In den Worten des männlichen Protagonisten Leo heißt dies: „Keine Schwäche, bitte.“
Sabrina Jaehn