Freiheit braucht Strukturen heißt der Workshop, den der &Töchter Verlag beim Weiterbildungstag geben wird.
Der &Töchter Verlag ist ein neugegründetes Unternehmen mit einer Besonderheit: Es gibt keine Führungsperson, denn alle fünf Gründerinnen haben gleich viel zu sagen. Das selbstorganisierte Team hat sich Strukturen aufgebaut, die ohne Hierarchien auskommen und (bisher) trotzdem nicht in Chaos verfallen. Diese Arbeitsweise bringt viele Herausforderungen mit sich, hat aber auch viele Chancen auf selbstbestimmtes Arbeiten.
Wer bist du? Wie sieht dein Werdegang aus? Was machst du?
&Töchter Verlag und mehr
Lydia Hilebrand, 27, Presse und PR bei &Töchter (BA-Studium: Medien und Kommunikation, MA: Buchwissenschaft, Verlagspraxis)
Laura Nerbel, 29, Lektorat, Foreign Rights und Lizenzen bei &Töchter (Studium: Lehramt Grundschule, MA: Buchwissenschaft Verlagspraxis)
Sarah Zechel, 25, Lektorat und Herstellung bei &Töchter (BA-Studium: Germanistik und Kommunikationswissenschaft, MA: Buchwissenschaft, Verlagspraxis)
Wie würdest du Freunden „New Work“ in 1-2 Sätzen beschreiben?
Die Digitalisierung verursacht einen gewaltigen Wandel in der Arbeitswelt: Hierarchien sind nicht mehr die Unternehmensstruktur der Wahl. Durch mehr Teilhabe und Selbstbestimmung der Mitarbeiter:innen entsteht eine demokratisierte Arbeitswelt.
Was gewinnt man, wenn man sich mit „New Work“ auseinandersetzt? / Was verpasst man, wenn man sich nicht mit „New Work“ beschäftigt?
New Work setzt den Menschen in den Mittelpunkt des Unternehmens. In der digitalen Welt verändern sich nicht nur die Arbeitswelten, sondern auch der Alltag wird immer schnelllebiger. Es braucht eine Balance zwischen Freiheit und Struktur, um einerseits eine Trennung von Privat- und Arbeitsleben für die Mitarbeiter:innen zu schaffen und andererseits offen für neue Entwicklungen zu bleiben. Dies können die Methoden des New-Work-Ansatzes erreichen. Traditionelle Arbeitsstrukturen mit festen Hierarchien verpassen oft die Bedürfnisse der einzelnen Teammitglieder und Organisationen sind dadurch an vielen Stellen starrer als sie sein müssten. Die erhöhte Flexibilität erleichtert es den Unternehmen auch, neue Strategien auszutesten, ohne zu viel Zeit durch unnötige Entscheidungsschleifen zu verlieren.
Weshalb hast du dich für dieses Thema so sehr begeistert? Gab es eine besondere Motivation oder ausschlaggebende Momente?
Als wir unseren Verlag gestartet haben, war uns allen fünf Gründerinnen klar, dass es zwischen uns keine Hierarchien geben wird und wir alle gleichberechtigt Entscheidungen treffen können. Diese Arbeitsweise bietet jeder Einzelnen von uns viele Freiheiten und trotzdem die richtige Menge an Verantwortung. Als Gründer:in muss man zumindest am Anfang über alle Vorgänge Bescheid wissen. Jeden Tag erleben wir es als bereichernd, dass jedes Teammitglied seine Meinung zu jedem Thema äußern kann. Trotzdem haben wir gemerkt, dass eine gewisse Struktur sinnvoll ist, da sie die Kommunikation und Produktivität im täglichen Arbeitsleben erleichtert, vor allem wenn die Aufgabenstellungen wachsen und es im ersten Moment nach Chaos aussieht. Das Thema New Work ist aber noch lange nicht ausgereizt, weshalb wir immer auf der Suche nach neuen Methoden der Zusammenarbeit sind.
Gibt es einen Aspekt, in welchem der Begriff „New Work“ benutzt wird, obwohl es eigentlich nicht „New Work“ ist?
New Work ist ein Begriff, der sich nicht wirklich definieren lässt. Zumindest für uns nicht. Wir versuchen uns mit unserer Neugründung den jetzigen Arbeitsbedingungen im Jahr 2020 so anzupassen, dass es für unsere Abläufe und unser Team am besten ist. Viele Unternehmen stecken jedoch noch viel zu sehr in ihren traditionellen Strukturen fest, was auch nicht von heute auf morgen lösbar ist. Schwierig wird es, wenn Unternehmen als Arbeitgeber versuchen flexibel aufzutreten und mit dem Begriff ‘New Work’ werben, jedoch noch viel zu sehr in ihren hierarchischen Denksystemen agieren. New Work ist zuallererst innere Arbeit der Führungskräfte. Die Verlagsbranche hat da noch viel zu lernen, denn die Aussichten für Berufseinsteiger:innen sind noch immer nicht einfach. Das war unter anderem ein Grund, wieso wir &Töchter gegründet haben.
Welche Botschaft möchtest du mit deinem Workshop/Vortrag vermitteln?
Grundsätzlich möchten wir mit unserem Unternehmen Offenheit in die Literaturbranche bringen. Unsere Lese-Veranstaltungen sind von Nachwuchsautor:innen für ein bunt gemischtes Publikum gedacht und das ist uns bisher auch ganz gut gelungen. Mit unserem Workshop zu dem Thema New Work möchten wir zeigen, dass auch die Verlagswelt bereit ist, neue Themen anzugehen und die Digitalisierung und Demokratisierung nicht nur Chaos bringt, sondern ein großer Gewinn für die Arbeitsweise in einem Verlag sein kann.
Welchen Ratschlag möchtest du den Young Professionals in der Buch- und Medienbranche mitgeben?
Zu allererst nachforschen, was einen wirklich interessiert und wo man Potenzial sieht. Diese Dinge dann in einem kleinen Umfeld und Maß austesten. Feedback einholen, was funktioniert hat und was gut ankommt und auf diesen Ergebnissen nach und nach neue Strukturen aufbauen. Das Internet bietet so viele Möglichkeiten, (meist) kostenlos Dinge auszuprobieren. &Töchter hat mit einer kleinen Wohnzimmer-Lesung und dem dazugehörigen Instagram-Post begonnen, weil wir einfach mal ausprobieren wollten, ob man aus Lesungen Events machen kann. Daraus ergab sich eine coolere Location in einem Gemüseladen und ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung. Das heißt, wir haben ganz klein angefangen und haben uns langsam an die Möglichkeiten herangetastet, die uns zur Verfügung standen. Mithilfe unseres Netzwerks konnten wir so tatsächlich einen Buchverlag gründen.
Wie bildest du dich weiter?
Da wir bis vor kurzem noch alle Studentinnen waren, haben wir viel aus Fachbüchern gelernt, aber eigentlich funktioniert die Weiterbildung meist über learning by doing. Als Gründerinnen stehen wir fast täglich vor neuen Herausforderungen, die sich dann fast immer durch Befragung des eigenen Netzwerks, viel Google-Suche und Expert:innenmeinungen lösen lassen. Außerdem sind Podcasts eine wertvolle Möglichkeit, Hintergrundwissen und Denkweisen kennenzulernen und zu verinnerlichen.
Vielen Dank für das Interview!