Thorsten Ahrend, Programmleiter Belletristik bei Wallstein, sprach mit den Jungen Verlagsmenschen über seine Arbeit als Lektor und das Wettrennen der Juroren beim Bachmannpreis
Herr Ahrend, in den fünf Jahren, die Sie nun beim Wallstein Verlag die Belletristik verantworten, sind sechs Ihrer Autoren nach Klagenfurt eingeladen worden. Setzen Sie ganz bewusst auf öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen dieser Art, d.h. beeinflussen sie in irgendeiner Weise die Produktion?
Ob die Zählung so ganz richtig ist …? Vielleicht sind es noch ein paar mehr Namen, aber das liegt an der Vagheit des Begriffs „Ihre Autoren“; ein Besitzverhältnis ist es ja gewiss nicht. Auf jeden Fall war, seit wir hier ein Belletristikprogramm machen, jedes Jahr mindestens ein Wallstein-Autor in Klagenfurt.
Natürlich freue ich mich, wenn unsere Autoren dorthin eingeladen werden und ab und an sogar Preise bekommen. Die Produktion beeinflusst es hingegen nicht. Aber wenn man sich sagt, dass ein paar Tausend oder Zigtausend die Lesungen im Fernsehen verfolgen: prima! In aller Regel erreichen wir solche Auflagenhöhen nicht. Und insofern kann ein Autor wenigstens einen Text auf diese Weise deutlich mehr Lesern bzw. Zuschauern vorstellen, als er normalerweise erreicht im ersten Anlauf mit einem Buch. Andererseits, was heißt: „darauf setzen“? Die Jury nominiert die Kandidaten, darauf habe ich keinen Einfluss, nur die Möglichkeit, jemanden vorzuschlagen.
Früher umhüllte die Bachmanntage eine Aura der Unberechenbarkeit, Autoren wurden hier nicht nur gefeiert, sondern auch verrissen. Hat sich der Wettbewerb in Ihren Augen stark verändert, könnte man von einer Verharmlosung sprechen? Und wie ließe sich dieser Umstand auf den Literaturbetrieb übertragen?
Ach, anders geworden … Trends sind immer Sekundärinterpretationen, die konkret nichts nützen, jedenfalls wenn es sich um Kunst und um wirkliche Literatur handelt. Wenn ich einen Text in den Händen halte, der mich begeistert, dann ist es mir doch vollkommen egal, ob er gerade den Trend oder das Thema der Saison bedient. Zumal es ja sowieso immer der Trend des Vorjahres ist.
Über Klagenfurt wird geschrieben, dass alles immer schlechter wird, seit es Klagenfurt gibt. Am Ende geht es doch immer um den einen Text, der plötzlich alles über den Haufen wirft.
Ich glaube, die Wertungen in Klagenfurt sind im Vorfeld kaum berechenbar, das liegt ja in der Natur der Sache, sonst würden doch nur die Sieger hinfahren, oder? Und ich halte es für ein Grundproblem der ganzen Veranstaltung, dass die Juroren die Kandidaten benennen dürfen/müssen. Dadurch kommt es zu einem Wettrennen der Juroren. Nicht nur, wer hat die besten Argumente und kann sie am stechendsten und witzigsten vortragen, sondern vor allem auch: Wer bringt seinen Kandidaten durch? Das dreht Diskussionen oft in absurde Richtungen; auch wenn es vielen Zuschauern so gar nicht bewusst wird. Ich fände es tausendmal besser, wenn wer auch immer die Autoren einladen würde, und die Jury nähert sich dann allen gleich.
Wenn Autoren mich um Hilfe bzw. eine Empfehlung an einen Juror bitten, weil sie gern nach Klagenfurt wollen, dann gebe ich mir Mühe, das hinzukriegen. Aber ich sag ihnen auch, dass sie sich vorab fragen müssen, ob sie es nervlich durchstehen, ggf. eine halbe Stunde vor laufender Kamera auszuhalten, dass die Jurydiskussion verheerend ist. Man muss auf jeden Fall stark genug sein, sich selbst zu glauben, ohne Arroganz natürlich. Na ja, vielleicht muss man im Notfall auch ruhig ein bisschen arrogant sein.
Nachdem Sie seinerzeit bei Suhrkamp ausgeschieden waren, wurden Sie Programmleiter und Mitgesellschafter bei Wallstein und demonstrierten damit Ihren Glauben an eine dauerhafte Zusammenarbeit nicht nur mit den Kollegen, sondern vielmehr noch mit den Autoren des Hauses. Sie möchten Schriftsteller betreuen, die ein Werk vor sich haben, aber wie viel Zeit bleibt Ihnen noch für den einzelnen Titel? Läuft man nicht manchmal Gefahr, der Schnelllebigkeit des Verkaufs aufzusitzen und Novitäten gedanklich schneller ad acta zu legen als man es eigentlich vertreten könnte?
Ja, Schriftsteller, die an ihrem Werk arbeiten, zu begleiten, das ist doch das, was spannend ist, bei dem man immerzu Neues erfährt, dazulernt. Für den einzelnen Titel bleibt immer zu wenig Zeit; aber es ist doch ein Glück, wenn man beim Entstehen dabeisein kann, wenn man die Vorlage gibt für alles, was dann in der Sphäre der Distribution und Kommunikation passiert. Die Schnelllebigkeit des Verkaufs, ja Gott, ich hab keine Zeit, darüber zu lamentieren. Natürlich wäre es klasse, wenn die Buchhandlungen die Bücher nicht so rasch remittieren würden, wenn sie sich selbst mehr dafür einsetzen könnten, was sie gern lesen, wenn sie ihre Kunden begeistern können für Bücher, die sie lieben. Aber das findet ja alles statt in vielen engagierten Buchhandlungen; und wo es nicht so ist, wird es nicht besser dadurch, dass ich jammere.
Ihr Lektorat ist winzig. Wie finden Sie neue spannende Autoren, verlassen Sie sich auf Ihre über lange Jahre hinweg aufgebauten Kontakte, oder werden Sie immer noch selbst aktiv? Fühlen Sie sich heute freier als damals bei Suhrkamp oder empfinden Sie manchmal ein Gefühl der Lähmung angesichts der Dinge, die neben der eigentlichen Lektoratsarbeit anfallen?
Ich fürchte, Sie machen sich völlig falsche Vorstellungen darüber, wie groß bzw. wie klein die Lektorate in den großen Verlagen sind. Die Zahl der Titel, die ein Lektor zu stemmen hat, ist insgesamt und überall größer geworden. Und es gibt eben eine Menge Arbeiten, die man mitmachen muss, die es so vor 10 oder gar 5 Jahren noch nicht gab. Verlassen kannst du dich auf gar nichts in unserem wunderbaren Literaturbetrieb. Ob ich immer noch selbst aktiv bin? Fragen Sie mich vielleicht in 30 Jahren noch mal, oder in 50. Vielleicht erzähle ich dann vom Joggen mit Rollator.
Autoren suchen und finden wir wie alle anderen Verlage auch. Die Zahl der Debüts, die ich auf den Weg gebracht habe, ist vergleichsweise hoch, von Lukas Bärfuss bis Ulf Erdmann Ziegler, um mal zwei Autoren zu nennen, die in Klagenfurt waren, wenig erfolgreich, deren Bücher aber außerordentlich erfolgreich sind. Gregor Sander, der in diesem Jahr den 3sat-Preis gewonnen hat habe ich mit seinem zweiten Buch zu Wallstein geholt. Ähnlich bei Johannes Gelich und Clemens Berger, zwei jungen österreichischen Autoren. Neugierig schauen, Kontakte pflegen, Tipps von Autoren und Kollegen ernstnehmen. Lesen, lesen, lesen.
Sie sind relativ verwöhnt, was die Erfolge Ihrer ehemaligen Autoren angeht, auch finanziell. Mit der Vertriebskraft eines Suhrkampverlags etwa kann sich Wallstein naturgemäß nicht messen, fällt es Ihnen heute schwer, ohne die „großen Verkäufe“ auszukommen?
Ach, sagen Sie das mal einem Autor, dass er von seinem Verlag finanziell verwöhnt wird. Ich glaube, da werden Sie gesteinigt. Die Zahl der Autoren, die vom Buchverkauf leben kann, ist sehr gering; klar: Handke, Walser, Enzensberger, Kehlmann — das ist eine andere Geschichte. Und mit dem jeweiligen Verlag hat das auch eher wenig zu tun. Wenn wir nicht von den ganz Großen reden, nicht vom Renner der Saison, sondern von den ernsthaften jüngeren Autoren, die gar keins oder 3, 4, 5 Bücher veröffentlicht haben und im Feuilleton mit Respekt und Achtung wahrgenommen werden. Abgesehen von den Ausreißern des Buchpreises und anderen Sondereinflüssen sind die Verkaufszahlen nahe beieinander, egal ob der Verlag etwas größer ist oder nicht. Wir haben das Glück, dass unsere Neuerscheinungen in den Feuilletons Beachtung finden. Zu Recht natürlich.
Vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Lars Claßen
Seit 2004 verantwortet Thorsten Ahrend die Belletristik im Wallstein Verlag. Zuvor war er als Lektor für Reclam Leipzig, Gustav Kiepenheuer und Suhrkamp tätig.