Anita Djafari© Jeanette Faure

Anita Djafari
© Jeanette Faure

Anita Djafari, Teamleiterin von litprom, der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika, sprach mit Lars Claßen über Solidarität, Exotik und glückliche Zufälle.

Frau Djafari, Edward Said sprach in seiner 1978 erschienenen Schrift „Orientalism“ davon, dass der Westen dem Orient die Selbstrepräsentation verweigere, einen Diskurs lediglich über ihn, aber nicht mit ihm führe. litprom übt sich in Saids Sinne an einer Korrektur derartiger Sichtweisen. Das bedeutet, Sie schreiben der Literatur das Potenzial zu, hegemoniale Strukturen als solche sichtbar zu machen; für Sie ist die Literatur ein Erkenntnismedium, ihr Auftrag ein politischer…  
Definitiv, ja. Zur Zeit der Gründung 1980 war Schwarzafrika Gastland der Frankfurter Buchmesse und Peter Weidhaas, der damalige Direktor, von der Vielfalt der Literatur so angetan, dass er sich dachte, man müsste hier irgendwie aktiv werden, die Texte für die deutschen Leser zugänglich machen, Türen öffnen. Die weitreichende Solidaritätsbewegung mit der dritten Welt in den Achtzigern — siehe im Literaturbetrieb zum Beispiel das damalige Label „Dialog Dritte Welt“ des Lamuv Verlages mit Peter Hammer und dem Unionsverlag — hat ihren Teil dazu beigetragen.

Wie kamen Sie ins Spiel?
Zur afrikanischen Literatur kam ich durch einen glücklichen Zufall. Ich reiste mit einer  Freundin durch Tansania, als uns plötzlich der Lesestoff ausging und uns gar nichts anderes übrig blieb, als uns vor Ort nach Büchern umzuschauen. Und wir haben Vieles gefunden. Zurück in der Heimat wurden dann an der Universität gerade die neuen englischen Literaturen diskutiert, hier konnte man noch Entdeckungen machen; meine Examensarbeit schrieb ich über afrikanische Frauenliteratur. So kam ich schon als Studentin zur neu gegründeten Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Mit meinem damaligern Professor, Dieter Riemenschneider, arbeiten wir heute noch intensiv zusammen.

Das Ziel der Gesellschaft ist die Demokratisierung des Blicks auf das Andere und somit auch die des hybriden Lebensraumes Deutschland. Wie viel Unabhängigkeit — inhaltlich wie finanziell — benötigt es, um effektiv und glaubwürdig für eine Liberalisierung einstehen zu können? Und wie unabhängig ist litprom, möglicherweise stellt die Einschränkung der freien Wirkungsentfaltung ein Problem dar, mit dem Sie konfrontiert werden?
Wir stehen in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis, da müssen wir uns nichts vormachen. Dieser Konferenzraum und auch die Büros werden uns von der Buchmesse kostenlos zur Verfügung gestellt. Auf die Infrastruktur der Institution haben wir ebenfalls Zugriff. Peter Weidhaas hatte lange den Posten des Ersten Vorsitzenden inne und konnte aufgrund seiner Doppelfunktion immer eine schützende Hand über die Gesellschaft halten. Auch der jetzige Direktor der Frankfurter Buchmesse, Jürgen Boos, steht hinter uns. Worüber wir sehr glücklich sind, denn wer weiß, wenn dem nicht so wäre… Im Gegenzug haben sich hier natürlich belastbare Kompetenzen angesammelt — nächstes Jahr wird litprom 30!

Inhaltliche Einschränkungen oder die Vorgabe bestimmter Stoßrichtungen durch die Messe müssen Sie nicht in Kauf nehmen?
Inhaltlich sind wir absolut autonom. Die Unabhängigkeit scheint für Sie ein spannendes Thema zu sein…

Eine Gesellschaft, die den Anspruch erhebt, für Unabhängigkeit und Demokratie einzutreten, muss in den eigenen Strukturen demokratisch organisiert sein und nach außen hin mit größtmöglicher Unabhängigkeit wirken können, denke ich …
Das stimmt, und das können wir Gott sei Dank. Unser zweiter großer Geldgeber ist der Entwicklungsdienst der Evangelischen Kirche, wir haben um die 100 Mitglieder, die uns mit ihren Beiträgen helfen, private Spender etc. … Das reicht, um über die Runden zu kommen. Für größere Sprünge müssen wir uns um weitere Geldgeber bemühen, und das haben wir auch vor.

Sie engagieren sich ebenfalls im Rahmen des LiBeraturpreises. Seit 2001 ‘entdecken‘ Sie dort ausländische Werke von Frauen, d.h., Sie prämieren ausschließlich Titel, die noch nicht in deutscher Übersetzung vorliegen. Gewannen Sie den Eindruck, den eigenen Blick möglicherweise einzuschränken, indem Sie die Vorauswahl, welche Titel es überhaupt erst nach Deutschland schaffen, anderen überlassen haben?
Nein, das nicht. Aber es gehört gleichermaßen zu unseren Auftrag, nicht nur die bereits verlegte Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu promoten, sondern auch mit dafür zu sorgen, dass bestimmte Werke und Autorinnen und Autoren überhaupt erst entdeckt werden. In diesem Sinne war der LiBeratur-Förderpreis ein schönes Projekt, und wir haben immerhin von insgesamt fünf geförderten Autorinnen vier in einem Verlag unterbringen können. Leider wurde diese Förderung 2005 wieder eingestellt. Wir mussten die Texte suchen, Probeübersetzungen anfertigen lassen, die Autorinnen einladen… Wir haben schlichtweg keinen Geldgeber mehr gefunden, der uns eine hinreichende finanzielle Unterstützung geboten hätte. Und dabei ging es gar nicht um horrende Summen.

Wie sieht die institutionelle Förderlandschaft in der Bundesrepublik aus, haben Sie das Gefühl, Vereine wie der Ihre müssen sich oftmals anbiedern, oder stoßen Sie generell auf offene Ohren?
Die Akquise von Fördergeldern ist kein leichtes Unterfangen, wie der eben beschriebene Fall zeigt. Kulturförderung und Sponsoring von Literatur haben es generell immer schwer, die vermeintliche „Marginalliteratur“ aber im besonderen Maße. Dennoch glaube ich, einen langsam voranschreitenden Wandel zum Positiven zu beobachten.

Hängt dieser mit einer Interessenverschiebung beim deutschen Lesepublikum zusammen, sagen wir von einem Verlangen nach exotischen Märchen, den Reisen durch und Abenteuern in fremden Ländern hin zu dem Wunsch, verlässlichere Einblicke in soziopolitische Zusammenhänge zu bekommen?
Die Literatur, die wir fördern, tritt immer mehr aus der Exotenecke, der Nische heraus und wird in den Kanon aufgenommen. Was enorm wichtig ist. Lucien Leitess (der Verleger des Unionsverlages, Anm. d. Red.) hat einmal treffend formuliert: „In die Nische fällt kein Sonnenstrahl“. Als Wole Soyinka 1986 den Literaturnobelpreis erhielt, schrieben einige Zeitungen, man müsse diesen Autor nicht kennen. Die Arroganz, die darin zum Ausdruck kam,  würden die Redaktionen heute nicht mehr an den Tag legen. Gleichwohl gibt es bei vielen Lesern immer noch eine affektartige Ablehnung des Fremden, des erst einmal Nichtgreifbaren. Zugleich werden Autobiografien, Bücher über Frauenbeschneidungen und Kindersoldaten, nach wie vor viel gelesen. Diese lösen vermutlich eine Erleichterung aus, „hier ist es halt doch besser, eigentlich geht es mir hier doch ziemlich gut“, in dieser Art. Mir ist es auch schon passiert, dass ich häufig auf meinen Nachnamen angesprochen wurde, ich bin mit einem Iraner verheiratet, und man mir dann doch tatsächlich mit einem „Sie müssen nichts sagen, ich weiß Bescheid“, begegnete, nur weil man das Buch Nicht ohne meine Tochter gelesen hatte. „Und haben Sie auch Kinder?“, es ist nicht auszuhalten. Wir haben noch viel zu tun. Ohnehin könnten wir meiner Meinung nach durchaus eine noch schärfere Diskussion befördern.

Von 1989 bis 1992 waren Sie in Peru und haben dort eine Sprachschule gegründet, Sie sind Gründungsmitglied des LiBeraturpreises, für litprom sind Sie seit 1980 aktiv, seit diesem Jahr als Teamleiterin. Was ist das Spannende an der Literaturvermittlung, das Sie sich Ihren Idealismus über die Jahre hat bewahren lassen?
Das frage ich mich manchmal auch (lacht). Ein Erklärungsversuch hängt mit meiner
Kindheit zusammen: Ich komme ursprünglich aus bildungsfernen Verhältnissen, habe aber sehr stark darauf gedrängt, diese Distanz aufzuheben, mich anzunähern. Das machte damals viel aus und bedeutete einen Sprung, eine Art persönlichen Kulturwechsel. Nicht zuletzt habe ich dank der gut sortierten Bücherei in unserem kleinen Ort früh meine Liebe zur Literatur entwickeln können. Was hätte ich bloß ohne Pippi Langstrumpf und Jim Knopf gemacht?  So habe ich seinerzeit im Kleinen erfahren, was ich heute im Großen suche. Was nun die Vermittlungsfunktion betrifft, so kann ich gewisse Dinge selbst einfach nicht produzieren, weiß aber, wie ich an sie herankomme und kann die Qualität beurteilen. Das Zusammenbringen von Kompetenzen ist wiederum eine eigene Kompetenz und wird von mir durchaus als kreative Arbeit empfunden. Dazu habe ich nicht das dringende Bedürfnis, Literatur wissenschaftlich zu analysieren. Mir liegt viel mehr daran, sie unter die Leute zu bringen, in ihnen etwas wachzurütteln. Also so etwas wie: Jim Knopf für alle, bitte!

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Lars Claßen


Anita Djafari ist Chefredakteurin der Zeitschrift „Literaturnachrichten“ und seit April dieses Jahres Teamleiterin von litprom, der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika in Frankfurt am Main.