Wibke Ladwig ist Social Web Ranger, Ideenkatalysatorin und Wortschatzjägerin. Sie begleitet Menschen im digitalen Raum und passt auf, dass sie nicht von Bären gefressen werden. Sie denkt leise und laut über Identität, Ideen, Geschichten und Szenografie nach und wie man den digitalen und den analogen Raum sinnvoll miteinander verbinden kann. Außerdem irrlichtert sie mit #printtwitter, #plattensammlung, Lakritzel, Findelkraken und Papperlapapp durch Digitalien und pflegt die Kunst der freundlichen Verstörung. Am 22.04.2016 spricht sie auf der Direttissima Konferenz in München zum Thema „Inszenierung des Ich im Social Web“.

© Wibke Ladwig

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Kann eine gelungene Selbstdarstellung bei Social Media (über Xing hinaus) einen Vorteil für Berufseinsteiger der Buchbranche darstellen?

Grundsätzlich ist es hilfreich, wenn man nicht nur in Social Media mit seinem Namen und Konterfei auffindbar ist, sondern mögliche Arbeitgeber oder Kollegen einen Eindruck von der Persönlichkeit bekommen. Wertvoll wird Social Media, wenn die Auseinandersetzung mit Interessen sichtbar wird und man sich nach und nach gut vernetzt, also den Austausch sucht.

Die Buchbranche ist – wie so ziemlich jede Branche – eher klein. Viele Stellen werden auf Empfehlung hin vermittelt oder verbreitet. Da kann es in der Tat helfen, wenn man sich nicht erst unter Druck vernetzt, wenn man plötzlich ein Netzwerk nötig hat. Und Vernetzung über Socal Media läuft nun mal über sympathische Sichtbarkeit oder aktive Vernetzung mit Leuten aus der Buchbranche oder deren Umfeld, die man selber sympathisch oder bereichernd findet.

Welche Portale sollten für eine gelungene Selbstinszenierung unbedingt „bespielt“ werden, welche sind nur „nice to have“, aber nicht zwingend nötig?

Es ist sinnvoll, die Dienste und Plattformen zu nutzen, mit denen man sich selbst wohlfühlt. Findet man selbst überhaupt Vergnügen an der Selbstinszenierung? Je nach Neigung sollte man sich die Orte und Wege suchen, wo man sich nicht verbiegen muss. Ein „sollte“ finde ich daher wenig glücklich. Wer aber Lust auf Entdeckungen (auch ungeahnter Talente seiner selbst), auf andere Menschen und ihren Ideen und Projekten und Spaß am Spiel hat, sollte einfach mal alles Mögliche ausprobieren.

Profile auf Facebook, Instagram und Twitter sind praktisch, weil man für andere auffindbar ist. Und dort verschiedene Themengruppen und Spielwiesen findet, um unkompliziert andere Leute kennenzulernen und sich über Ideen und Projekte auszutauschen. Ein Blog eignet sich gut, wenn man selbst einem Thema oder einer Idee auf der Spur ist, gern schreibt, fotografiert oder zeichnet, seine Gedanken dokumentieren und sich mit anderen Bloggern vernetzen möchte.

Noch sehe ich auch viel Platz für charmant gemachte Formate bei Youtube oder als Podcast. Wenn jemand ein Händchen für Bewegtbild oder Audio hat – nur zu. Es ist auch immer mal hilfreich, ganz neue Dienste auszuprobieren. Dort trifft man auf die Pioniere, die sich auf alles Neue stürzen und oft bestens vernetzt sind. Am allerbesten ist es, wenn man sich nicht nur auf Protagonisten und Themen der Buchbranche stürzt, sondern offen bleibt. Mitunter führen recht verschlungene oder ausschweifende Wege nach Rom.

Man sollte einfach zusehen, dass man gefunden wird, wenn jemand den Namen googelt. Es muss nicht zwingend eine Webiste oder ein Blog sein. Helfen kann schon ein Profil bei Xing, LinkedIn, about.me oder flavors.me.

Welche Personen setzen die digitale Selbstinszenierung Ihrer Meinung nach besonders überzeugend um und warum?

Es gibt zwei, drei Faktoren, die in meinen Augen eine Selbstinszenierung überzeugend machen: Souveränität, die Lust am Spiel und Eigensinn. Wenn jemand über eine innere Souveränität in Fragen der eigenen Gestaltung und über äußere Souveränität, also über eine gewisse Unabhängigkeit von anderen, verfügt und eine eigene Idee von sich selbst und der Inszenierung des Selbst hat, lässt sich auf dieser Grundlage spielen.

Man kann sich der Wirklichkeit anderer anpassen und von einer Checkliste für den perfekten Tweet zum nächsten Web-Seminar über die zehn ultimativen Tipps für den weltbesten Blogpost hecheln. Oder man schnappt sich Social Media und findet heraus, was man damit anstellen kann, um vielleicht eine eigene Wirklichkeit herzustellen. Das Wichtigste aber: Selbstinszenierung funktioniert nur, wenn sie authentisch ist und schlüssig zum Menschen passt. Passen digitale und analoge Präsenz nicht zueinander, wird es nicht nur für einen selbst, sondern auch für andere anstrengend.

Interessanterweise versuchen die meisten, sich den Gesetzmäßigkeiten von Social Media anzupassen anstatt diese selbst auszuloten. Zwei, die Letzteres mit Lust tun, sind Marcus John Henry Brown und Patrick Breitenbach. Autorinnen und Autoren, die mir einfallen, sind Isabel Bogdan, Nora Gomringer und Maximilian Buddenbohm, die ich nicht zuletzt deswegen auch sehr schätze. Die Büchereien Wien sind ebenfalls ein gutes Beispiel für eine gelungene Selbstinszenierung. Was sie alle gemeinsam haben: Sie bleiben sie selbst und machen sich Digitalien schlankweg zu eigen und prägen sie mit ihren starken Persönlichkeiten.

Wodurch unterscheidet sich die Selbstinszenierung im Social Web von der „Inszenierung“ einer Unternehmensmarke?

 Unternehmen erzeugen mit Inszenierungen Marken- und Erlebniswelten. Das funktioniert für Personen selten. Eher sorgt eine solche Inszenierung für Irritation, weil Marken- und Erlebniswelten klassischen unternehmerischen Zielen dienen, die in Social Media nicht funktionieren. Der kaufende und verkaufende Mensch, für den Marken- und Erlebniswelten inszeniert werden, ist etwa an Rabatten oder Gewinnspielen interessiert. Zwar entwickeln sich in Social Media durch zum Beispiel Kaufbuttons bei Facebook oder Links zum Shop bei Pinterest Vertriebsoptionen, aber hier herrscht der spielende Mensch vor. Also geht es eher um Kunstwelten, um Spiel, Unterhaltung(en) und um Geschichten, die Nähe und Auseinandersetzung ermöglichen.

Was erwarten Unternehmen im Bezug auf die Selbstinszenierung im Social Web von Young Professionals?

Den Begriff „Young Professionals“ musste ich jetzt erstmal googeln. Ah ja. Ich habe den Eindruck, dass sowohl solche Begrifflichkeiten als auch eine dergestalte Erwartung von Unternehmensseite eher in Konzernen oder konzernähnlichen Unternehmen zum Tragen kommen. Manche eher familiär geprägten Unternehmen in der Buchbranche könnte eine betont „professionelle“ und auf „Young Professional“ getrimmte Selbstinszenierung eher abschrecken. Nach wie vor ist die Buchbranche „People business“, in der es um Menschen geht. Das eine Rezept gibt es nicht. Je besser man sich selbst einschätzen kann, je neugieriger man sich mit Themen und Menschen auseinandersetzt, für die man sich interessiert und je erkennbarer man als Persönlichkeit ist, desto unabhängiger macht man sich von vermeintlich gängigen Best Practices.

Empfehlen kann ich daher nur, sich damit zu beschäftigen, was man selber erwartet und was einen in und an der Buchbranche interessiert. Wenn man das nach außen sympathisch, zwanglos und mit Leidenschaft sichtbar macht, agiert man aus sich selbst heraus. Und nicht nach den schwer einschätzbaren und quecksilbrigen Erwartungen von irgendjemand.

Welches ist Ihr liebstes Soziales Netzwerk und warum?

Im Grunde mag ich sie alle auf ihre Weise. Meine Vorliebe wechseln immer mal wieder. Twitter, Instagram und Facebook sind meine am intensivsten genutzten Dienste. Über Twitter habe ich definitiv die meisten Menschen kennengelernt und für den unmittelbaren Kontakt ist es immer noch unübertroffen. Instagram erlebe ich als sehr inspirierend und generell herrscht dort eine angenehm entspannte und freundliche Atmosphäre – zumindest in meinem Umfeld. Ich folge dort Menschen von allen Kontinenten und erhalte Einblicke in ihren Alltag und was ihnen in ihrem Leben wichtig ist. Und nicht nur Menschen, auch Hunden, Pferden, Eseln, Schafen, Kühen – und überraschend sportlichen Meerschweinchen aus New York. Es gibt deutlich mehr auf Instagram als Selfies, Nagellack-Tutorials oder Schöner-Wohnen-Inszenierungen. Facebook ist mein Großraumbüro, weil sich dort viel Berufliches abspielt, etwa in den Gruppen.

Sehr lieb ist mir nach wie vor Ello, die Slow-Social-Media-Variante. Ein Ruheraum im täglichen Getöse, wenngleich man dort stark auf sich selbst zurückgeworfen wird. Für kreative Menschen anregender Freiraum. Für Menschen, die es ohne Dialog und unentwegte Bestätigung durch andere nicht aushalten, eine Zumutung. Ich schreibe dort so vor mich hin, poste für mich Erfreuliches und Nachdenkliches und suche dort keinen gezielten Austausch, sondern finde Inspiration.

Was sind die No-Go‘s bei der digitalen Selbstinszenierung?

Allgemeingültige Rezepte für eine gelungene Selbstinszenierung gibt es ebensowenig wie fürs Gegenteil. Was bei dem einen wunderbar rüberkommt, endet bei einem anderen in einer Katastrophe. Schwierig finde ich es immer, wenn eine Selbstinszenierung in Selbstbeweihräucherung, Selbstgefälligkeit oder gar Selbstergriffenheit mündet. Wer nicht mehr über sich selbst lachen kann, weil er sich selbst übermäßig wichtig nimmt, macht es nicht nur sich selbst schwer, sondern auch anderen. Weicht die Identität im digitalen Raum vollkommen von der im Analogen ab, führt das nicht zu Vertrauen, Respekt oder Wertschätzung, sondern man erntet langfristig das Gegenteil.

Haben Sie Tipps für transmediale Konzepte? Wie schaffe ich es, dass eine einheitliche Performance aller Kanäle erreicht wird?

Ich räume bei persönlicher Souveränität, Gelassenheit und Freude am Spiel Spontaneität und Improvisationsvermögen mehr Chancen auf eine intuitive Einheitlichkeit ein als einer Überplanung. Voraussetzung ist ein gutes Gespür für den eigenen Ausdruck und dass man sich selbst die Freiheit einräumt, selbstbewusst und authentisch aufzutreten. Die Kunst ist vielleicht eher, das wegzulassen, was den eigenen Auftritt verwässert oder stört. Auch Crossposting, also das u.U. automatisierte Teilen von unveränderten Inhalten in verschiedenen Diensten sollte wohlüberlegt sein. Ein Bewusstsein für den roten Faden in der eigenen Geschichte hilft bei der Auswahl und Aufbereitung der Inhalte, die man selbst erstellt oder teilt. Wenn dann das Digitale nur mehr eine selbstverständliche Erweiterung dessen ist, was man auch jenseits Digitaliens tut, kann man mit Transmedialität gut spielen.

Gibt es Möglichkeiten mit einem Klick alle Kanäle zu bespielen, quasi Arbeitserleichterungen, damit man sich nicht überall einzeln einloggen und alles einzeln pflegen muss?

Klar, gibt es. Diverse Social-Media-Dashboards wie etwa Hootsuite oder Dienste wie IFTTT ermöglichen eine Vielzahl von Automatisierungen. Ich selbst nutze mit Ausnahme von Team-Projekten nur Tweetdeck für Twitter und poste ansonsten bewusst manuell. Mir ist die Kommunikation mit den Menschen zu wichtig und ich finde, dass man automatisierte Postings oft erkennt. Der situative Kontext fehlt und es tritt ein anderer Automatismus ein: Ich fühle mich prompt nicht mehr allzu sehr gemeint und widme mich anderen Postings. Nutzt man Social Media eher für Informationen und News, spielt das weniger eine Rolle. Meines Erachtens schöpft man damit nur einen Bruchteil der Möglichkeiten von Social Media aus. Sobald es um Menschen geht, sollte man sich klar machen, dass nicht alles sinnvoll ist, was technisch möglich ist.

Wie kann man die Kunst der Inszenierung im digitalen Raum einsetzen, um unabhängig von Plattformen und Themen wiedererkennbar zu sein?

Menschen sind unterschiedlich, je näher man rangeht, und jeder von uns ist unverwechselbar. Der erste Schritt zur Inszenierung ist also die Auseinandersetzung mit sich selbst, mit dem eigenen Ausdruck und Auftreten, den eigenen Talenten und Eigentümlichkeiten und den eigenen Wünschen und Hoffnungen. Das beinhaltet die Erkenntnis von eigenen Fähigkeiten und Stärken ebenso wie die Akzeptanz von Schwächen und dem, was man partout nicht kann oder will. Es braucht Mut, die eigene Persönlichkeit in Wort und Bild auszudrücken. Persönlichkeit ist der Schlüssel zur Wiedererkennbarkeit. Es klingt irrwitzig banal, erfordert aber Mut. „Ganz und gar man selbst zu sein, kann schon einigen Mut erfordern“, meinte schon Sophia Loren. Aber ich stelle es mir immer viel anstrengender vor, jemand anderes sein zu wollen. Die Kunst der Inszenierung ist demnach eine Kunst der Zumutung, nämlich des eigenen Selbst. Nur Mut!

Die Fragen stellte Antje Katzer.