Tobias Schwarz ist Coworking Manager der beiden Sankt Oberholz Coworking Spaces in Berlin und wirkt am Aufbau der Sankt Oberholz Verlagsanstalt mit. Davor leitete er das Blog Netzpiloten.de; für die Netzpiloten ist er weiterhin als Editor-at-Large tätig und berät die Geschäftsführung der Netzpiloten Magazin GmbH. Er ist Gründer und Vorstandsmitglied der German Coworking Federation. Am 22.04.2016 spricht er auf der Direttissima Konferenz in München zum Thema „Coworking“.

Tobias Schwarz (© Carolin Saage)

Tobias Schwarz (© Carolin Saage)

Du beschreibst Coworking als die Arbeitskultur der Zukunft. Wie kann man sich Coworking eigentlich ganz praktisch vorstellen?

Coworking ist zum einen die Summe der Vorteile der anderen uns bekannten Orte der Arbeit. Es bietet uns die Flexibilität unseres Zuhauses, die feste Struktur des Büros und die Community eines Cafés. Diese Aspekte werden in Coworking Spaces vereint, weshalb sie auch als der vierte Ort der Arbeit bezeichnet werden.

Praktisch drückt sich das dadurch aus, dass ich ein mich inspirierendes Netzwerk um mich herum habe. Selbstverständlich erledigt auch ein jeder seine Arbeit in einem Coworking Space, aber man versucht sich auch mit dem Netzwerk auszutauschen. Und dann passiert etwas, dass man nirgendwo anders findet, wo gearbeitet wird: Serendipität.

Der Begriff bezeichnet das Unbekannte, das man findet, obwohl man nicht danach gesucht hat. Beispielsweise die Idee, die einem nur durch einen unverhofften Perspektivwechsel kam, oder die Kooperation mit jemanden, dessen Fähigkeiten einem, kombiniert mit den eigenen, plötzlich neue Wege gehen lässt. Planen kann man das nicht, aber einen Raum dafür schaffen.

Wie können Unternehmen dieses Konzept nutzen, um neue Young Professionals zu akquirieren?

Coworking Spaces bieten einem die Möglichkeit, ortsunabhängig zu arbeiten. Gerade jüngeren Angestellten kann man als Unternehmen dadurch ermöglichen, in einem vertrauten Umfeld zu leben und nicht für die Karriere vielleicht Familie, Freunde und die Liebe verlassen zu müssen. Diese Flexibilität ist meiner Meinung nach sehr gefragt.

Aber auch die Abwechslung, die einem eine Community und ein anderes Netzwerk bieten, kann attraktiv auf jüngere Menschen wirken. Man steht im ständigen Austausch mit Leuten, die etwas anderes als man selbst machen. So lernt man neue Themen kennen und bildet sich auch unbewusst fort. Ich finde das spannender, als beim Mittagsessen nur von innerbetrieblichen Anekdoten und dem neuesten Flurfunk zu hören.

Und die Arbeit in einem Coworking Space für ein Unternehmen, das ganz woanders sitzt, schafft vom ersten Tag an eine Vertrauensbasis, die man meiner Erfahrung nach mit Verantwortung zurück bezahlt. Es verschafft einem auch eine unglaubliche Befriedigung, für Leistung und nicht für Anwesenheit bezahlt zu werden.

 

Und wie kann ich mich als Berufseinsteiger am besten in den Coworking-Prozess integrieren?

Einfach etwas machen, was einem Spaß macht und im besten Fall die Rechnungen bezahlt. Was daraus werden kann, lässt sich schwer voraussagen, aber durch das Phänomen der Serendipität sind den Möglichkeiten keine Grenzen gesetzt.

Durch das Community Management bekommt man nicht nur Zugang zu einem Netzwerk, sondern auch in Form durch Workshops und Vorträge zu Wissen und Unternehmen, die mögliche Auftraggeber werden können. Im St. Oberholz sind beispielsweise sämtliche Events, auch die von externen Veranstaltern, stets kostenlos und frei für unsere Mitglieder zugänglich.

Siehst du Coworking als Thema, das hauptsächlich die Personaler betrifft oder sollte das ganze Unternehmen in den Prozess integriert werden?

Ob ein Unternehmen nun teilweise oder komplett in ein Coworking Spaces zieht, oder auch nur Coworking-Elemente im eigenen Betrieb adaptiert, ist nicht so wichtig, denn dieser Prozess wird nahezu das gesamte Unternehmen erfassen. Alle werde diese Transformation zu spüren bekommen und unterschiedlich nutzen können.

PersonalerInnen können in Coworking Spaces nach neuen Talenten suchen und den eigenen Angestellten mehr Flexibilität ermöglichen. KundenbetreuerInnen haben die Möglichkeit, Treffen mit Externen in oft ja spannenderen Räumen eines Coworking Spaces zu organisieren und wer für Innovationen und Entwicklungen zuständig ist, findet hier Inspiration.

In Gent ist mir der Geschäftsführer eines Coworking Spaces begegnet, der einmal die Woche zum Arbeiten in ein anderes Coworking Space geht, um durch den Tapetenwechsel zum einen von alltäglichen Aufgaben zu fliehen, aber auch Ruhe für neue Gedanken zu finden und so seine langfristigen Planungen betreibt. Ein derartiger Perspektivwechsel kann auch für das Management eines Unternehmens sehr nützlich sein.

 

Lässt sich dieses Arbeitsmodell deiner Meinung nach in allen Unternehmen anwenden oder gibt es bestimmte Voraussetzungen, die den Erfolg von Coworking garantieren?

Es hängt in erster Linie vom Beruf ab, ob Coworking einem nützen kann oder nicht. Eine Metzgerin wird immer in einer Metzgerei arbeiten müssen und ein Straßenbahnfahrer kann auch nicht einfach seinen Arbeitsort flexibel wechseln und im Gespräch mit den Fahrgästen nach Inspiration suchen.

Grundsätzlich kann man aber sagen, dass die Arbeit zum einem ortsunabhängig durchführbar sein muss, was eigentlich immer auf WissensarbeiterInnen zutrifft. Und das Unternehmen muss seinen Angestellten vertrauen. Die Menschen müssen für Leistung und nicht für Anwesenheit bezahlt werden. Denn gerade Menschen, die ortsunabhängig arbeiten, kann man nur sehr schlecht kontrollieren.

Als ich noch für das Blog Netzpiloten.de arbeitete, ließ mich mein Chef auf die achtwöchige Europareise durch Coworking Spaces gehen. Meine Freundin und ich besuchten 26 Coworking Spaces in zehn verschiedenen Ländern. Mein Vorgesetzter vertraute mir, dass ich trotzdem jeden Tag meine Arbeit erledigte und ich spürte die Verantwortung, das auch stets zu gewährleisten.

 

Der Trend zur Beschäftigung von Freelancern erlebt in der Verlagsbranche gerade einen Aufschwung. Nicht jeder Berufseinsteiger möchte allerdings gleich als Selbstständiger arbeiten. Inwieweit ist das Coworking-Konzept auch für Unternehmen mit überwiegend Festangestellten geeignet?

Lässt man als Unternehmen seine Festangestellten in einem Coworking Space arbeiten, werden einige Menschen ein Space in unmittelbarer Nähe zu ihrem Wohnort wählen. Diese Menschen werden ihre Work-Life-Balance wesentlich besser erreichen können und zufriedenere Angestellte sein. Andere Menschen werden die Stadt, vielleicht sogar das Land verlassen und da leben, wo sie es für lebenswert halten und nicht wo ihre Arbeit ist.

Sie alle aber werden in Kontakt mit neuen Menschen, Unternehmen und Ideen kommen, sich von dem Austausch inspirieren lassen und versuchen, diese Erfahrungen in das eigene Unternehmen zu integrieren. Das sowohl Schöne und das Wesentliche an dem Phänomen Serendipität ist, dass es sich nicht planen oder voraussagen lässt. Es wird sich einfach vieles ändern und bestimmt nicht zum Nachteil des Unternehmens.

 

Muss sich der Buchbranchen-Nachwuchs ein neues Bild von der Arbeitswelt machen? Wie kann dieses Bild aussehen?

Jeder Mensch wird sich ein neues Bild von der Arbeitswelt machen müssen, dies betrifft nicht allein die Buchbranche. Aber in Coworking Spaces arbeiten vor allem textproduzierende und –verarbeitende Menschen, eine auf Texten basierende Industrie wie die Buchbranche sollte hier hervorragend ansetzen können. Jeder, der in meinen vorangegangen Antworten allein schon bei dem Gedanken an mehr Flexibilität und neuen Impulsen, strahlende Augen und Geistesblitze bekommen hat, wird ahnen, was alles möglich wäre und irgendwann sein wird.

Mein wichtigster Tipp an BerufseinsteigerInnen ist aber, nichts als gegeben anzusehen und Sachen auch einfach mal zu machen. Ich habe mein Glück nie bei den großen Namen in meinem Lebenslauf gefunden, sondern stets bei den Unternehmen, die mir die Möglichkeit gaben, etwas anders und für mich Neues zu machen. Es kommt nicht darauf an, für wen man arbeitet, sondern was man macht und das kann man selbst oft besser bestimmen als wenn man angestellt ist. Selbstverständlich gibt es auch Ausnahmen und andere Vorlieben.

 

Wie kann das Coworking-Modell in der eher traditionellen Buchbranche dazu beitragen Innovationen zu entwickeln?

Der Schritt in ein Coworking Space würde Verlagen die Möglichkeit geben, Traditionen einmal auf ihre heutige Sinnhaftigkeit zu überprüfen und sich vielleicht auch einmal neu zu erfinden. Viele Unternehmen haben in ihrer Firmengeschichte auch einmal etwas verändert. Das mittelfränkische Unternehmen Triumph-Adler hat erst Fahrräder, dann Schreibmaschinen und dann Kopierer hergestellt. Jetzt bieten sie ein Dokumentenmanagement in der Cloud an und suchen im St. Oberholz nach der Zukunft ihrer Branche.

Warum kann ein Verlag nicht auch einmal etwas anderes machen oder wenn es schon was mit Büchern sein muss, dies komplett anders? Der Zugang zu einem Coworking Space ist auch sehr niedrig schwellig. Die Ullstein Buchverlage buchen sich bereits jetzt schon regelmäßig in den Konferenzräumen des St. Oberholz ein, um das Verlagshaus zu verlassen und einen freien Kopf zu bekommen.

Und Innovationen entstehen dann, wenn man was erlebt und kennenlernt. Dies geht am besten außerhalb des eigenen Verlagshauses. Der Dichter Matthias Claudius formulierte treffend: Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Auf mich traf das hundertprozentig zu, für Verlage und andere Unternehmen wird sich das auch als wahr erweisen. Wenn sie sich denn einmal wirklich bewegen und auf den Weg machen.

 

Das Interview führte Denise Marschall.