Sie wird beschimpft, beleidigt und erniedrigt. Nicht einmal vor Todesdrohungen wird Halt gemacht. Die Politikerin Renate Künast berichtet in ihrem Buch über eigene Erfahrungen mit Hass im Netz, analysiert die Beweggründe von Hetzer*innen und behandelt Lösungsansätze.
Renate Künast betritt sicheren Schrittes die Bühne. Sie wirkt wie eine unerschütterlich toughe Frau, die sich von ein paar Hass-Postings nicht aus der Ruhe bringen lässt. Als der Moderator jedoch ein paar Kommentare vorliest, die unter ihren Beiträgen auf sozialen Netzwerken erscheinen, wird die besorgniserregende Lage schnell klar. Ein Beispiel: Ihr wurde ein Enthauptungsvideo gesendet mit dem Wunsch, ihr möge das gleiche passieren.
Auf einen Kaffee mit den Hetzern
Die Politikerin erzählt vom Versuch, die Verfasser*innen aggressiver, beleidigender Kommentare zu verstehen und vom Entschluss, einige davon persönlich zu besuchen. Manche sind erfreut, dass sie sich tatsächlich die Zeit für ein Gespräch nimmt, andere verdattert oder ahnungslos. Die Gewalt, mit der sie täglich im Netz konfrontiert wird, begegnet ihr bei persönlichen Treffen nie. Sie berichtet von ihren Eindrücken: Es seien vorrangig Werte-Geleitete, gut verdienende Menschen, die Hass-Postings verbreiten. Nur im Internet würden sie sich mit Politikern auf Augenhöhe fühlen. In sozialen Netzwerken stacheln sich Gleichgesinnte zur Verbreitung von Hasskommentaren an, doch in der realen Welt sehen sie keine Möglichkeit, sich politisch zu engagieren. Es bleibt beim Hass im Internet, im wirklichen Leben verspüren sie Ohnmacht.
Ohnmacht ist ein häufig genanntes Wort in der Veranstaltung.
Viele Menschen, die ihre Wut in Form von Hasskommentaren ausrücken, fühlen sich von der Politik nicht beachtet.
Sie stellen sich Fragen wie „Kümmert sich jemand um uns?“ oder „Warum werden Banken und keine Bürger gerettet?“ Künast setzt sich in ihrem Buch damit auseinander, wie man mehr und besser kommunizieren kann, wie ein Draht zu unzufriedenen Menschen hergestellt wird und sogar dieselben Ziele verfolgt werden können. Beispielsweise Kindern bessere Bildungschancen zu geben oder eine höhere Bezahlung in Sozialberufen durchzusetzen.
Organisierter Hass im Netz
Neben Privatpersonen verbreiten auch politische Gruppierungen wie Pegida Drohungen und Beleidigungen im Internet. Anhänger solcher Organisationen sind teilweise geschult, ihre Kommentare so zu verfassen, dass sie gerade noch legal sind. Künast sieht es als gesellschaftliche Aufgabe, sich mit diesem Hass zu beschäftigen, und fordert, auch trickreiche Umgehungsformulierungen vor Gericht zu bringen. Denn mit solchen Beiträgen wird Macht demonstriert und Angst geschürt.
Mittlerweile gibt es ein Netzwerkdurchsuchungsgesetz, das binnen 24 Stunden Hasskommentare löscht. Keine optimale Lösung – globale Unternehmen, die von sozialen Netzwerken wie Facebook beauftragt werden, löschen teilweise zu viel, weil der Kontext der Postings nicht beachtet wird. Künast appelliert an Staatsanwälte und Richter, sich intensiver mit Cybermobbing zu befassen, um einerseits die langwierigen Gerichtsprozesse zu beschleunigen und andererseits ein besseres Gespür dafür zu entwickeln, was Meinungsfreiheit von Hetze unterscheidet.
Das werde ich ja wohl noch sagen dürfen
Wer der negativen Energie im Internet entgegentreten möchte, kann mit dem Hashtag #ichbinhier konstruktive, überlegte und respektvolle Kommentare markieren. Aber das reicht mir bei weitem nicht, denn: Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit wird rassistisches, homophobes, frauenfeindliches, gewaltverherrlichendes Gedankengut verbreitet. So wird eine bedrohliche, beklemmende Stimmung erzeugt, die Einfluss auf unsere Lebensrealität nimmt und immer mehr zur Normalität wird. Ich beobachte oft, wie ich mich reflexartig innerlich ducke, wenn ich jemanden Dinge sagen höre wie: „Hitler hat ja auch einiges richtig gemacht.“ oder „Dunkelhäutige haben einfach stärkere Triebe.“
Ich zucke zusammen, weil ich solche Aussagen mit gewaltbereiten Menschen assoziiere, mit Drohungen und demonstrativ zur Schau gestellter Autorität. Diese Assoziationen werden von Politikern gemacht, die lächelnd sagen, dass unsere Grenzen mit Waffen verteidigt werden müssen. Von pöbelnden Gruppen, die einen Afrikaner aus der U-Bahn schubsen. Von Anonym, der im Netz Todesdrohungen verbreitet. Von dem Unbekannten, der mir unter den Rock greift und dabei sagt, dass eine gute Frau sich fügt.
Gleichzeitig weiß ich aber, dass ich mich nicht an all das gewöhnen darf, weder im Netz noch im Alltag, und mache mich wieder gerade und den Mund auf. Ich kann von Hass gesteuerte Menschen nicht mit ihren eigenen Waffen schlagen, denn ich möchte andere nicht zum Schweigen bringen, indem ich sie so lange einschüchtere, bis sie sich ducken. Aber ich kann einen anderen Weg einschlagen, der gegen diese sich ausbreitende Normalität arbeitet: die Augen offen lassen, gerade stehen bleiben, nicht auf Kompromisse eingehen oder mir gar erklären lassen, was man ja wohl noch sagen dürfte.
Leonie Pürmayr