Auf der Podiumsdiskussion „Kommunikation und das Internet“ beim Weltempfang sprach Thomas Böhm mit dem Schriftsteller und Historiker Timothy Garton Ash und Prof. Dr. Bernhard Pörksen über Kommunikation, insbesondere Redefreiheit, im Internet.

Timothy Garton Ash kommt aus Großbritannien und in diesem Jahr erschien bei Hanser „Redefreiheit. Prinzipien für eine vernetzte Welt“. Prof. Dr. Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, zuletzt publizierte er „Kommunikation als Lebenskunst“ im Carl-Auer Verlag (2014).

Vor zehn Jahren wagte sich Timothy Garton Ash an sein Buchprojekt. Ausgangspunkt waren zwei große Themen in seinem Leben: Europa und Freiheit. Er entschied sich für die Freiheit, denn diese sei ja der Wert an sich, während Europa eher als Mittel zum Zweck gesehen werden könne – und wie veraltet wäre sein Buch nun, wenn er sich für Europa entschieden hätte! Wenn man von Freiheit sprechen will, müsse man vor allem von Redefreiheit sprechen. Sie mache alle anderen Freiheiten erst möglich, durch sie lernen wir andere (er)kennen, durch sie werden Demokratie und Vielfalt lebbar. Heute würden wir in einer nie dagewesenen Welt leben, in der alle Menschen irgendwie Nachbarn seien: die Hälfte der Menschheit hat ein Smartphone und kann sich schnellstens mit anderen verknüpfen. Daher könne nun nicht mehr nach dem Satz „When in Rome, do as the Romans do“ gelebt werden.

Bernhard Pörksen weist in diesem Zusammenhang auf sein 2009 erschienenes Buch über Massenmedien hin, in dem er von klassischen Gatekeepern ausging. Das Internet sei nun ein Raum der Hochgeschwindigkeit, der uns in kleinster Form (bspw. via Smartphone) zugänglich sei, und der gleichzeitig die Skandalisierung der Empörung auf eine neue Stufe hebe. Das Internet sei eine große Chance und zugleich eine große Gefahr für die Redefreiheit, bestätigt Ash. Der freizügige Umgang mit der Redefreiheit im Internet wirkt sich auch auf Kunstarten wie die Satire aus. Der Fall Böhmermann ist hier ein gutes Beispiel: Die satirische Intervention hat über die digitale Empörung und Verbreitung eine Staatskrise ausgelöst – eine solche Eskalation wäre früher in diesem Ausmaß wohl nicht möglich gewesen. Gleichzeitig müsse gerade hier darauf hingewiesen werden, dass immer auch der Kontext eine Rolle spiele, wie etwas gedeutet würde. Die Digitalisierung ermöglicht es, Kontexte auf verschiedenste (beunruhigende?) Weise zu verschieben und neu zu setzen.

 

Warum Redefreiheit?

In Deutschland ist die Redefreiheit gleich an drei weitere Begriffe geknüpft: Die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit und die Informationsfreiheit. Redefreiheit ist nach Ash so zentral, weil sie die folgenden vier Punkte betrifft:

1.) Der Mensch ist nicht er selbst, solange er sich nicht ausdrücken kann.

2.) Bis in die Antike kann zurückverfolgt werden, dass Redefreiheit für demokratische Systeme wesentlich ist.

3.) Redefreiheit ist wichtig bei der Suche nach der Wahrheit.

4.) Die Redefreiheit ermöglicht das Eruieren und Etablieren des vielfältigen Zusammenlebens, der Kosmopolis, dem Kennenlernen verschiedenster Menschen, die miteinander vernetzt sind.

Allerdings, so Pörksen, erleben wir heute einen Verlust der öffentlichen Lebensqualität. Denn die Qualität der Kommunikation ginge einher mit einer entsprechenden Qualität des Lebens. Im heutigen Internet finde man jedoch immer mehr „Verpöbelung der Sprache“ (Beispiel Hassrede), Polarisierung (Beispiel Donald Trump und seine Anhänger) und eine Konfliktverschärfung, die durch die Geschwindigkeit und die Algorithmen der digitalen (An-)Archive beschleunigt werde.

 

„Wir akzeptieren keine gewaltsame Einschüchterung“

Ash zeigte in diesem Zusammenhang eine angenehme Form des empathischen Liberalismus und Ansätze, was man gegen diesen Qualitätsverlust tun könne. In seinem Buch nennt er einige relevante Prinzipien, die bei der Kommunikation im Internet beachtet werden sollten. Eines davon ist die Nicht-Akzeptanz gewaltsamer Einschüchterung bzw. des so genannten „Vetos des Mörders“, also der digitalen Verbreitung von Hassparolen und Morddrohungen als Reaktion auf kritische Veröffentlichungen. Charlie Hebdo dient hier als Beispiel: die gewaltsame Einschüchterung in Reaktion auf die satirische Auseinandersetzung des Magazins mit religiösen Ansichten eskalierte schließlich in einem Attentat. Eine solche Gewalt stellt eine große Gefahr für die Redefreiheit dar, denn sie führt dazu, dass aus Angst Selbstzensur angewendet wird, also der Einschüchterungseffekt einsetzt, der momentan in Europa um sich greife. Nach Ash dürfen wir nicht nur nicht selbst einschüchtern, sondern wir müssen uns gegen die Akzeptanz einer solchen Einschüchterung wehren. Denn durch die Pseudoanonymität befördere das Internet diese Form der Gewalt in besonderem Maße: Die direkte Reaktion, die sonst in einem Face-to-Face-Gespräch registriert werden konnte, fällt hier gänzlich weg.

©Dominique Schikora

©Dominique Schikora

Die Anonymität lasse Zeit und Raum zusammenschrumpfen. In einer zunehmend vernetzten, posteuropäischen und postwestlichen Welt (in dem Sinne, dass der Westen wirtschaftlich immer weniger relevant mitbestimmt) sei eine Hinwendung zum Universalismus nur durch den Dialog zwischen den Kulturen möglich. Es könne nicht mehr vom weißen Mann der Aufklärung ausgegangen werden, der die Werte vorgibt. Vielmehr ginge es darum, unsere Werte vorzulegen, mit anderen ins Gespräch zu kommen und festzustellen, wo Einigkeit herrsche und wo nicht und wie wir dann damit umgehen.

Dabei stellt sich natürlich die Frage: Wie geht man in einem solchen offenen Dialog mit fundamentalistischen Meinungen und Wertesystemen um? Der empathische Liberalismus sei als Mischung aus kultureller Offenheit und dem Festhalten an den eigenen Werten also immer eine Gratwanderung. Pörksen gibt zu bedenken, dass es Situationen gebe, in denen ein Dialog nicht mehr möglich sein könne (bspw. wenn vor Beginn eines Gesprächs Dinge anerkannt werden müssen, die dem offenen Dialog jedoch gegenläufig sind). Vor diesem Hintergrund seien aktuelle Studenten – zugespitzt – in einer heiklen Situation: Sie kommen aus einem Umfeld der Offenheit und gelangen in eine Atmosphäre des Hasses, während die gesellschaftliche Mitte weitestgehend schweigt. Müssten diese Studenten – und auch die gesellschaftliche Mitte – nicht wehrhaft gemacht werden? Auch Ash sieht bei Gewaltfragen keine kulturelle Transformation mehr, hier müsse ein klares „Nein“ ausgesprochen werden. Für die Kulturvielfalt müsse allerdings ein Dialog möglich sein. Doch wie entgegnen wir den Hassreden?

 

Wir benötigen unzensierte und vertrauenswürde Medien

Wir müssen besser sprechen! Während in der Antike sich einst 6000 Menschen einer Stadt versammelten und öffentlich die Argumente für und wider einen Krieg ausdiskutierte, können sich 81 Millionen Deutsche leider nicht an einem Ort versammeln und einen öffentlichen Diskurs führen. Dies sei laut Ash die Aufgabe der Medien. Das Internet sei eine Art Echokammer, in der jeder Mensch seine Neigungen und Vorurteile durch diverse, auch nicht vertrauenswürdige Publikationen, bestätigt sehe. Die Lüge wird nur durch ständige Wiederholung effektiv. Bestes Beispiel ist Donald Trump, der so lange von seinen Gefühlen und denen seiner Mitmenschen spricht, bis sie als Fakten anerkannt werden. Nach Pörksen sei dieser Moment der Entfesselung der Bestätigung eine Mehrheitsillusion, die vor allem der Isolationsangst entgegen wirken soll. Und genau hier liege ein Bildungsauftrag in gigantischem Ausmaß, der letztlich auf die Einübung der Spielregeln des Diskurses an Schulen und Universitäten hinauslaufen müsse. Warum gibt es eigentlich kein Unterrichtsfach, in dem öffentliches Sprechen gelehrt wird, in dem die Prinzipien der Redefreiheit in einer digitalen Welt erklärt werden? Gerade Schulen und Universitäten bieten einen geschützten, zivilen Raum für Diskussionen der unterschiedlichsten Meinungen und könnten so auch dem sinkenden Niveau der Kommunikation im Internet entgegenwirken. In Deutschland nennt man diese robuste Zivilität Streitkultur, also die Austragung eines Konflikts auf friedliche Weise.

Eine Grundeigenschaft des Internets ist es, auf einfachste Weise etwas öffentlich zu machen. Es ist hingegen schwer, etwas privat zu halten. Hier kommt die Frage nach der Legitimät und somit die Frage nach dem öffentlichen Interesse ins Spiel. Öffentliches Interesse ist nicht gleichzusetzen mit dem Interesse der Öffentlichkeit. Hier hält es Ash für notwendig, ggf. rechtliche Einschränkungen der Redefreiheit einzusetzen. Pörsken spricht von einem „Clash der Codes“ und erklärt dies am Beispiel Facebook und dessen eigener Ansicht von Meinungsfreiheit. Gesetzliche Einschränkungen seien jedoch das Ende des Diskurses, den es doch stark zu machen gilt.

Hier könne ein guter Qualitätsjournalismus ansetzen und so zum Mittel für eine umfassende Allgemeinbildung werden. Ash warnt davor, dass es durch die Anwendung von Algorithmen und des damit verbundenen Informationsflusses zu einer Zensur der privaten Mächte wie Facebook und Google kommen könne. Transparenz sei in diesem Fall ungemein wichtig. Genau deshalb brauche man Ashs Prinzipien, aus denen sich im Diskurs ein Grundprinzip entwickeln könne, das entsprechend mobilisiert und angewandt werden sollte.

 

Von Dominique Schikora