Er trägt eine gelbe Lederjacke und hat ein braungebranntes Gesicht – frisch zurück aus Palma de Mallorca, wo er mit seiner Familie fünf Tage verbracht hat. Er packt einen Mini-Laptop aus, auf dem er in jeder Pause an seiner neuen Geschichte schreibt: Russendisko-DJ und Erfolgsautor Wladimir Kaminer. Wenn Kaminer erzählt, schwingt die Stimmung immer zwischen Tragik und Komik – sein großes Thema.
Was ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste am Schreiben?
Ich bin fest davon überzeugt, dass es, für einen der schreiben will, das wichtigste ist, sein Thema zu finden und einen Zugang zu diesem Thema. Wenn man die Wege zu dem eigenen Thema definieren kann, ist alles andere viel einfacher. Dann geht es nicht mehr um gut oder schlecht, um die eine oder andere Szene, dann ist man als Autor jenseits von Gut und Böse, weil man für sich selbst glaubwürdig und aufrichtig ist. Der Weg zu diesem Thema liegt in der Vergangenheit, die Vergangenheit ist – darf man das sagen? – die einzig wahre Realität.
Wie sind Sie zu Ihrer ersten Buchveröffentlichung gekommen?
Ich habe in Berliner Kneipen Vorträge gehalten und gelesen, über Kosmonauten oder über russische Literatur. Meine Biografie spielt zu einem großen Teil in der Sowjetunion, diesem Experiment, das als gescheitert gilt. Darüber habe ich dann, etwas später, 1997/98, Geschichten geschrieben und in Kneipen und Cafés vorgelesen. Damals war in Berlin jedes Café zugleich ein Veranstaltungsort. Es kamen anfangs nur sehr wenig Leute, zehn, zwanzig vielleicht. Die fanden das allerdings sehr lustig.
Hat Sie das gewundert?
Das die das lustig fanden? Ja, weil ich das ernst gemeint habe. Damals verstand ich die Zweideutigkeit der Tragödie. Im Grunde ist eine Tragödie eine gescheiterte Komödie, eine Komödie, die nicht lustig ist. Und eine Komödie ist eine gelungene Tragödie, weil das der richtige Umgang mit der Tragik ist. Wenn man nur weint, landet man in einer Sackgasse und kann sich gleich erschießen. Die Komödie ist ein Mittel, konstruktiv mit Traurigkeit umzugehen, mit der Tragödie des Lebens.
Wie ging es weiter?
Später habe ich auf Vorlesebühnen gelesen, das war etwas härter und eher politisch. Eine gute Schule als Vorleser. Auf einer solchen Veranstaltung sprach mich eine Literaturagentin an und bot mir an, die Geschichten, die zu diesem Zeitpunkt fertig waren, Verlagen zu zeigen. Alle Verlage wollten dieses Buch haben, denn für die Verlage war das frisch. Bekommen hat es mein „Konzernverlag“, bei dem ich noch immer bin, weil er am meisten Geld geboten hat. Ungefähr 80.000 Mark. Das war für mich eine unglaubliche Summe.
Ich hatte zu dieser Zeit einen Job in einer Theaterwerkstatt, wo ich ungefähr eins-fünf verdiente. Auch nicht schlecht, aber dieser Job machte mich krank. Ich musste im Büro sitzen und lange Telefonate mit dem Arbeitsamt führen. Anfang der 90er gab es sehr viele ABM-Stellen in Berlin. Jedes Theater und jedes Projekt bekam sofort 20 ABM-Stellen. Und auch unsere Werkstatt hatte einen Pool von bestimmt 100 ABM-Stellen. Und da saß ich im Büro und musste Telefondienst halten. Als ich den Vorschuss von Bertelsmann bekam, habe ich sofort gekündigt – eine große Geste. Der Vorschuss entsprach ungefähr vier Jahresgehältern. So lange, dachte ich, wird diese Werkstatt sowieso nicht existieren.
Also stand bei Ihnen am Anfang das Lesen und erst dann folgte der gedruckte Text?
Für mich war das Buch damals nicht wichtig und ist es heute auch nicht. Die Papierliteratur ist eine sekundäre Erscheinung. Diese großen Auflagen kann man nicht fassen. Insofern ist das nicht so interessant für mich wie weiter als reisender Geschichtenerzähler durch die Städte und durch die Länder zu fahren und direkt mit den Menschen zu reden, ihnen Geschichten erzählen, mir ihre Geschichten anzuhören. Das ist für mich eine primäre Tätigkeit.
Sie haben Ihr Thema und Ihren Stil gefunden. Oder ist es so, dass der Verlag sagt: Das funktioniert, das wollen wir weiterhin haben?
Ich wollte mich von Anfang an nicht auf eine künstlich erzeugte Form einlassen, weil sie ihre eigenen Regeln diktiert oder auf den Inhalt Einfluss nimmt. Ich kann eine Form imitieren. Ich habe einen Roman imitiert mit „Militärmusik“, einen Reisebericht mit „Reise nach Trulala“, ein Kochbuch, einen Reiseführer oder Kurzgeschichten. Alles, was es gibt. Aber in Wirklichkeit ist es einfach eine Geschichte, die immer weitergeht. Eine Art Notizbuch.
Und der Verlag lässt Sie machen, wie Sie wollen, oder greift er ein?
Normalerweise reden wir mit dem Verlag nur über Geld. Sonst über nichts. Obwohl ich ein sehr nettes Lektorat habe. Sie redigieren mich, in erster Linie auf Grammatik, so, wie sie sich Grammatik vorstellen. Die ersten drei, vier Jahre hatten wir ständig Auseinandersetzungen und lange Kämpfe, ich habe immer alles zurückgenommen, was sie redigiert haben, aber inzwischen verstehen wir uns ganz gut.
Bekommen Sie die wirtschaftlichen Änderungen auf dem Buchmarkt mit?
Der Buchbetrieb ist eine absolut marktwirtschaftliche Angelegenheit. Die Branche verändert sich. Mit den Agenten zum Beispiel ist das so: Man kann es heutzutage nicht mehr als Beruf betrachten, Autoren zu suchen, zu finden, sie dem Verlag anzubieten. Der Verlag bietet dem Buchhändler den Autor an und der Buchhändler schaut, ob das nun jemand kauft oder nicht. Das ist aus marktwirtschaftlicher Sicht ein Wahnsinn. Genauso gut können Sie das Geld zum Fenster rauswerfen.
Deswegen machen sie heute Folgendes: Ein Agent schreibt ein Projekt. Wie er sich ein Buch vorstellt, das Kasse macht. Zum Beispiel, „Die Geschichte der Unterwäsche, geschrieben von XY“. Damit geht er zum Verlag, der sagt aber: Ich hätte gern die Geschichte der Unterwäsche, nicht geschrieben von XY, sondern von einem schwarzen Popsänger. Dann sucht der Agent einen schwarzen Popsänger, hilft ihm beim Materialsammeln, und daraus entsteht dann ein künstlich gemachtes Buch. Die Agenten selbst erzählen, dass das in Richtung amerikanische Verhältnisse geht. In Amerika ist der Buchhändler der Chef der ganzen Sache. In Deutschland ist das noch immer der Verleger. In Amerika geht der Verleger zum Buchhändler und sagt: „Ich habe vor, ein Buch über den Irak-Krieg zu produzieren, nimmst du mir davon so und so viele tausend ab?“ Sagt der Buchhändler: „Nee, ich hab schon fünf Bücher über den Irak-Krieg, ich nehme das nicht.“ „Okay, dann mache ich das nicht“, sagt der Verleger. Der Buchhändler diktiert. Aber das ist der Markt und der Markt ist noch nicht das Leben. Es gibt auch viele Eingänge und Ausgänge und Unvorhergesehenes.
Wissen Sie, wie hoch Ihre Auflagen sind?
Ich habe Millionen verkauft. Ich weiß gar nicht, wie viel. Mein Verlag hat mir zum eine Millionsten Buch eine Annonce geschaltet, aber das war vor langer Zeit. Ich habe aufgehört, mich dafür zu interessieren. Das meiste waren ja Taschenbücher, und das richtige Geld verdient ein Verlag mit Hardcover, weil sie teurer sind. Auch der Autor verdient mehr mit Hardcover, zehn bis zwölf Prozent pro Buch. Hunderttausend verkaufte Hardcover sind gut. Ein Taschenbuch kann man millionenfach verkaufen, niemand verdient so richtig daran, weil die so billig sind. Der Autor bekommt fünf Prozent vom Taschenbuch, das sind 30 Cent oder so. Wie viel muss man davon verkaufen, um davon leben zu können? Deshalb machen sie jetzt alle diese Hybridbücher, halb Taschenbuch, halb Hardcover, und verkaufen es für zwölf Euro.
Interview: André Hille