Ein Tag auf der Donau. Die Sonne strahlt, kaum ein Wölkchen am strahlend blauen Himmel. Eine Horde junger Menschen steigt aus drei Reisebussen, die eigens aus München und Nürnberg angefahren sind. Im Radio haben sie Gewitter gemeldet, aber die Stimmung ist kein bisschen drückend. Um mich herum sehe ich lachende und aufgeweckte Gesichter. Der Nachwuchs der Buchbranche hat sich versammelt. Ich bin auf einer Veranstaltung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern e.V. und stehe zwischen vielen neugierigen jungen Verlagsvolontären, Studenten der Buchwissenschaften und Buchhandels-Azubis. Man hat mich als Referentin engagiert. Eine meiner Redakteurskolleginnen aus meinem Verlag hat mich dazu eingeladen, zu zweit fühle sie sich sicherer zwischen all den anderen „alten Hasen“ aus den Bereichen Presse, Vertrieb, Verlagsvertretung und Personalagentur. Jetzt, da ich hier bin, kann ich sie noch besser verstehen und muss sagen: Ja, ich auch.
Als unser Schiff gegen elf Uhr in Kelheim ablegt, sind wir schon mittendrin und voll dabei, uns gemeinsam den ersten, anfänglich noch zaghaften Fragen des Nachwuchses zu stellen. Was für ein Gefühl, meiner Kollegin und mir selbst beim Reden zuzuhören und festzustellen, wie begeistert wir aus dem Nähkästchen plaudern. Wir beide lieben unseren Beruf und spielen uns gegenseitig die Frage-Antwort-Bälle zu. Während die liebliche, hügelige Landschaft langsam vorbeizieht, fragt mich eine Buchwissenschaftlerin im zweiten Semester ganz respektvoll und interessiert, ob ich als Lektorin sehr
viel reisen müsse und wie denn mein Tagesablauf genau aussehe. Sie hat sich gut vorbereitet und notiert sich Stichpunkte meiner Antworten in ihren keinen, noch fast leeren Block. Fakten sind nützlich, aber nicht immer interessant. Deshalb berichte ich ihr auch von einem der letzten Buchprojekte in unserem Verlag, bei dem nicht alles ganz reibungslos verlief. Als sie von mir hört, dass das fertige Buch aufgrund technischer Komplikationen ohne Autorennamen erschienen ist, muss sie herzhaft lachen und sieht das erste Mal richtig neugierig aus. Und schon setzt sich auch noch ein etwas älterer Auszubildender zu uns, der natürlich wissen möchte, warum das Redakteursdasein denn scheinbar so amüsant ist. Er will nach seiner Ausbildung im Verlag in der Buchhandlung arbeiten, ist sich aber unsicher in welchem Bereich und ob das überhaupt möglich ist ohne Studium. Immer mehr junge Menschen setzen sich zu uns an den „Lektorats-Infotisch“ an Deck des kleinen Donaudampfers und es tauchen zunehmend fantasievollere Fragen auf.
Die Fahrt auf dem Schiff lässt unweigerlich ein Wir-Gefühl entstehen und der Nachwuchs verliert nach und nach die anfänglichen Hemmungen, uns nach Herzenslust Löcher in unsere Bäuche zu fragen. Nach zwei Stunden beginnt mein leerer Bauch dann auch allmählich zu grummeln und ich bin froh, dass die Veranstalterin über das Bordmikrofon eine längere Pause ankündigt. Beim Essen in der Frühlingssonne schweigen meine Kollegin und ich uns dann gerne an und genießen das erste Mal bewusst die frische Brise Wind in unseren Gesichtern. Wir haben wirklich verdammt viel geredet. Ich beiße in die knackige Brezel und schaue auf die gegenüberliegende Allee aus saftig grünen Birken,
Ahornbäumen und Pappeln. Wir haben in Riedenburg an der Donau angelegt und der Landgang lockt. Meine Kollegin entdeckt am anderen Ufer eine Eisdiele, vor der sich eine Menschentraube versammelt hat. Unser Buchbranchen-Nachwuchs braucht offensichtlich dringend eine Abkühlung nach all den geballten Informationen und Auskünften. Klar, dass wir das jetzt auch wollen! Noch während ich mir meine Kugel Cappuccino-Eis auf der Zunge zergehen lasse, höre ich meine Kollegin sagen: „Nein, ich wusste damals auch nicht sofort wo meine berufliche Reise später hingehen soll. Aber ich fühle mich im richtigen Beruf angekommen, weil die Tätigkeit als Redakteurin so vielseitig ist und jedes neue Buchprojekt anders. Und genau deswegen bereue ich es auch nicht. Im Gegenteil.“
Das angekündigte Gewitter zeichnet sich jetzt langsam am Himmel ab und wir ziehen uns gemeinschaftlich zum Nachmittagsprogramm auf unser Schiffchen zurück. Alle Referenten beantworten dem Nachwuchs nun gemeinsam in einer offenen Fragerunde die restlichen Fragen. Es wird geschmunzelt und gelacht, einiges aber auch kritisch kommentiert. Beispielsweise die klugen Fragen danach, warum in Verlagen vergleichsweise wenige Frauen auf Führungsebene zu finden seien, obwohl der Frauenanteil in der Branche insgesamt auffallend hoch ist. Und ob das E-Book das Aus für das gedruckte Buch sei. Nachdem die Referenten hier keine allgemeingültige oder gemeinsame Antwort finden, entsteht eine kleine Diskussion. Kurz bevor wir wieder am Start- und Zielhafen anlegen, sucht mich die Erstsemesterin der Buchwissenschaften erneut auf. Sie hat noch eine letzte Frage an mich: Ob ich ihr den Beruf als Redakteurin aus meiner eigenen Erfahrung heraus empfehlen könne. Meine Antwort notiert sie sich in Großbuchstaben in ihrem nun schon ziemlich gut gefüllten Block. Als ich zwischen den vielen Notizen lese: REDAKTEURIN ZU SEIN IST EINE BERUFUNG! lächle ich zufrieden und gehe an Land. Regen hat es keinen mehr gegeben an diesem sommerlichen Tag.
Lesehest