Schon gestern bei der Auslosung der Plätze hieß es bezugnehmend auf namhafte Feuilletons, das Feld der Autorinnen sei lange nicht so dicht gewesen. Und was so verheißungsvoll angekündigt wurde, äußerte sich schon am ersten Tag in der Lesung einer Reihe spannender Texte, die von der Jury weitestgehend gut, aber nie unkritisch besprochen wurde.
Den Anfang machte Katerina Poladjan mit ihrem Romanauszug „Es ist weit bis Marseille“, in dessen Kern es um einen One-night-Stand geht, der aus drei unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird. Maike Fessmann, welche die Autorin eingeladen hat, konstatierte eine „Poetologie der Atmosphäre“. Man habe es mit einem Text zu tun, der der stimmungsstark sei. Und tatsächlich spürt man beim Lesen etwas von dem Leid, das die Figuren in sich tragen, und es werden Fragen ans Leben aufgeworfen, die aber gänzlich unbeantwortete bleiben. Das poetische Spiel aus Tod, Liebe und Wahnsinn gefiel der Jury im Allgemeinen, doch wurde auch hier eine Schwäche des Textes ausgemacht, nämlich ein inhaltliches Ungleichgewicht. Man komme von der Sexszene in eine Todesszene (Hubert Winkels) – ein Punkt, an dem jeder Leser bzw. jede Leserin selbst entscheiden kann, ob er bzw. sie den losen Enden der Erzählung folgen und die Fragen des Textes mit eigenen Antworten begegnen möchte.
Nora Gomringer war als zweiter an der Reihe. Ihr Ruf als Poetry-Slamerin und das begnadeten Talent, zu performen, eilte ihr voraus, so dass das ORF-Theater zum Bersten gefüllt war. Nach der Lesung ihres Textes „Recherche“ quittierte das Publikum die Performanz mit einem tosenden Applaus. Auch die Jury zeigte sich von diesem „Hörspiel“ (Hubert Winkels) angetan. Die Geschichte um den Selbstmord eines 13-jährigen Jungen, von dessen Schicksal man zunehmend erfährt – geradezu gefangen genommen wird –, ist eingebettet in die Erzählung von einer Autorin, Nora Bossong. Dabei handelt sich um eine Figur, die zur Recherchezwecken die Bewohner des Hauses zu dem Unglück befragt. Zwar wurde die These seitens Klaus Kastberger laut, es sei ein medieninszenierter Text, der außerhalb Klagenfurts keine Chance habe. Aber die restliche Jury zeigte sich doch angetan von eine „Stimmenpolyphonie“ (Sandra Kegele), dem „Wechsel zu einer sprachbezogenen Avantgarde“ (Hubert Winkels) und einem „genial gemachte[n] Text“ (Stefan Gmünder). Ob der Text gewinnt oder nicht: Bitte Nora Gommringers Texte lesen! Es lohnt sich!
Den Abschluss am Vormittag des ersten Tages bildete die Erzählung „Hierbleiben“ von Saskia Henning von Lange. Der „Exodus eines Schwangerschaftsfeindes“ (Hildegard E. Keller) ist die Geschichte von einem am Lenkrad eines Lasters sitzenden Mannes, dessen ganzes Drama um ein ungewolltes Kind sich in seiner Denkbewegung vollzieht. Während die einen in der Konstruiertheit des Ganzen eine Qualität des Textes erkennen wollten (Klaus Klastberger), empfanden andere Blutleere und Langeweile bei der Rezeption (Hubert Winkels). Auch wurde man sich nicht ganz einig, ob es nun eine realistisch oder psychologisch zu lesende Erzählung sei. Vielleicht kann man das für und wider der Jury mit einem Statement Klaus Kastbergers zusammenfassen, der sagte, je mehr Interpretationsmöglichkeiten ein Text biete, umso besser sei er.
Katharina Tummes