Es ist der zweite Abend der Exkursion unseres Germanistischen Seminars der Universität Duisburg-Essen zu den Literaturtagen nach Klagenfurt und die offizielle Eröffnung des ORF. Ein Tag im Seebad Maria Loretto am Wörthersee und 30 Grad Hitze haben bereits ihre Spuren hinterlassen.
Der Andrang im Studio ist erstaunlich. Ein Teil meiner Gruppe hat sich bereits auf die Bierzeltgarnituren zurückgezogen und verfolgt die Eröffnung im Fernsehen. Die restlichen einsamen Kämpfer versuchen, sich gute Plätze zu sichern und können die Studioatmosphäre und das Hintergrundgeschehen verfolgen. Die Kameras fangen die Bilder ein, die Musik wird eingespielt und „Go!“
Die Moderatorin Clarissa Stadler, die auch die nächsten Tage durch das Programm führen wird, begrüßt die Gäste, die das Geschehen live im Fernsehen oder über Internet und Radio verfolgen. Eine Jazzband sorgt für den musikalischen Rahmen. Nachdem Burkhard Spinnen, der nun schon 20 Jahre dabei ist, und somit eine kleines Jubiläum feiert, sich dafür bedankt, „dass man ihn immer noch erträgt“ und sich die Sponsoren kurz vorgestellt haben, hält auch die Chefin des ORF-Landesstudios Karin Bernhard eine Rede und erwähnt, dass, obwohl der Literaturbetrieb wie die Occupy-Bewegung in Klagenfurt einfalle, sie sich ganz außerordentlich auf diesen „besonderen Menschenschlag“ freue.
Sie leitet auch zum heutigen Stargast Ruth Klüger über, Überlebende des Holocausts und anerkannten Literatin. Eine kleine, vom Leben gekennzeichnete Dame mit bewegter Vergangenheit. In Ihrer eindrucksvollen Rede spricht Ruth Klüger über die Wahrheit und darüber, wie Ingeborg Bachmann sie sah. „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, zitiert sie Ingeborg Bachmann und bezeichnet sie als die „Schutzheilige der Literaturtage“. Ruth Klüger versteht dies als Aufforderung, sich über Wirklichkeit, Wahrheit, Literatur und Kitsch Gedanken zu machen. Sie bringt die Gedanken über Wahrheit mit Goethe und Lessing in Verbindung und betont, dass man sorgfältig zwischen Dichtung und Wahrheit unterscheiden müsse.
Ich stehe am rechten Eingang und sehe, wie eine Assistentin einen großen wunderschönen Blumenstrauß für Ruth Klüger hineinträgt. Doch sie macht den Eindruck, als wisse sie nicht, wer den Blumenstrauß überreichen solle. Ich versuche weiter, Ruth Klüger zu folgen, aber diese Szene lässt mich nicht los. Durch die Vermittlung eines Kameramannes wird der Blumenstrauß schließlich an Burkhard Spinnen weitergeleitet, der wenig später den Strauß an Ruth Klüger überreicht. Dann kommt nochmals die ORF- Landeschefin zu Wort, bedankt sich bei den Gästen und dem Publikum und eröffnet für die Gäste und Freunde des ORF das Buffet. Das war der Startschuss, das ist auch eine Wahrheit, für einen Massenauflauf: Das Buffet wird geplündert. Es hat für kurze Zeit etwas Wahnsinniges. Da ist es gut, dass unsere Kommilitonen bereits Bierzeltgarnituren besetzt haben und wir uns schnell hinsetzen können.
Doch allmählich leert sich der Empfang und es bildete sich eine angenehme Runde aus Autoren, Jurymitgliedern Verlagsmitarbeitern und uns. Wir können mit dem einen oder anderen Autor sprechen und auch Autogramme ergattern. Ich helfe meiner Kommilitonin, ein Autogramm von Ruth Klüger zu bekommen. Wir machen Fotos, sind glücklich und für einen Moment umgibt uns die Aura von Ruth Klüger, die doch auch nur Mensch, aber etwas Besonderes ist.
Es war ein besonderer Abend. Ein Kulturschock?! Für jeden sicher anders.
Willkommen beim Bachmannpreis.
Lukas Schulte