Carolin Emckes Dankesrede zum Friedenspreis ist ein flammendes Plädoyer auf einen demokratischen Humanismus in Zeiten des Fanatismus.

»So sieht es also aus dieser Perspektive aus…«. Mit diesen Worten eröffnet Emcke ihre Dankesrede anlässlich der ihr gewidmeten Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2016. Die Publizistin und Autorin reiht sich als Preisträgerin in eine lange und notable Liste der Honorationen seit der ersten Preisverleihung 1950 ein, darunter Karl Jaspers, Susan Sontag und letztmalig Navid Kermani. Der Friedenspreis, der durch den Börsenverein solchen Persönlichkeiten verliehen wird, »die in hervorragendem Maße vornehmlich durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens« beitrugen, ist wohl der bedeutendste Kulturpreis der Bundesrepublik, der alljährlich im Rahmen der Frankfurter Buchmesse vergeben wird.

Hier hatte die Autorin auch ihr neues Buch »Gegen den Hass« vorgestellt. In exemplarischen Einzelanalysen, so unter anderem zu der Gewalt gegen Geflüchtete im sächsischen Clausnitz oder anhand aktueller Fälle institutionellen Rassismus in den USA, wendet sich Emcke dort gegen die Reinheitsvorstellungen nationalistischer oder religiöser FundamentalistInnen. Ganz im Sinne Hannah Arendts, deren politische Theorie großen Einfluss auf Emckes Schriften hat, widmet sich die nun Ausgezeichnete in ihren Überlegungen stets der Ebene der Sprache; wundert sich (mit einer kleinen Prise poststrukturalistischer Theorie versehen) darüber, warum plötzlich etwas sagbar oder unsagbar wurde oder weist darauf hin, dass ein Schweigen über Gewalt selbst wiederum Gewalt ist.

Dieses Anliegen ist es auch, dass sie in der Dankesrede umtreibt; Unreinheit und Vielheit statt Reinheit und Einheit ist hier die Devise, die wir schon aus ihren Büchern kennen. Da der Ruf nach Frieden aber auch immer jemanden benötigt, der ruft und somit aus einer bestimmten Position heraus spricht, flankiert Emcke ihr Plädoyer mit einer Reihe an autobiografischen Erzählungen, wahrlich in dem ihr typischen Stil der »meisterhaften Erzählkunst«, so wie die gute Freundin und Laudatorin Seyla Benhabib betont.

Wurde die Preisverleihung in Emckes Kindheit noch im elterlichen Wohnzimmer, auf dem Fußboden sitzend, sozusagen »von unten nach oben« und medial vermittelt betrachtet, war sie seit der Preisverleihung an David Grossman 2010 mit dabei im Zuschauerbereich der Frankfurter Paulskirche, dem altehrwürdigen und historisch höchst bedeutungsschwangeren Ort der Verleihung.

Die eigene gesellschaftliche Verortung ist es, die Emcke damit andeutet und durchaus auch problematisiert (im saisonalen Turnus und mit wenig kreativen Eigensinn wurde ihr des Öfteren bereits der Vorwurf des Elitarismus entgegengehalten). Doch von Relevanz sind hier für die Publizistin nicht ausschließlich horizontale, sondern auch vertikale Differenzen des Sozialen erkennbar: »Und jetzt das hier…«. Da degradiert sich der Satz zur Ellipse und demonstriert, das Emcke ihre Rolle selbst noch suchen muss – schwankend zwischen der Position des Sprachrohrs eines für Frieden einstehenden universalen Wirs und der Rolle als Fürsprecherin einer marginalisierten Gruppe: Emcke wird nicht müde, ihre Homosexualität zu betonen und diese ebenso wie das Plädoyer für den Frieden in den Raum zu werfen.

Ein Akt, der auch im 21. Jahrhundert noch für erschrockene Gesichter im Halbrund des Zuschauerbereichs der Paulskirche sorgt und beweist, dass ihre, zum Teil schon vorher vielfach angemahnten, Forderungen nach Pluralität, Demokratie, Säkularisierung und… ja, nach dem gemeinsamen Bruch des (gewaltvollen) Schweigens, von rasender Aktualität sind.

Miryam Schellbach