von Stefan Katzenbach

Im Rahmen des Weltempfangs der Frankfurter Buchmesse 2020 diskutierten Hartmut Rosa und Bruno Latour am 18. Oktober 2020 über die Folgen der Corona-Pandemie für die Gesellschaft. Beide waren sich einig, dass es in einer Post-Corona-Zeit keine Rückkehr zum Zustand vor Corona geben sollte.

Entschleunigung als Novum

Für Harmut Rosa stellt die aktuelle Situation ein historisches Novum dar: „Erstmals seit 200 Jahren erleben wir eine absolute Entschleunigung“, sagte der Soziologe im Gespräch mit dem Philosophen Bruno Latour im Rahmen des Weltempfangs der Frankfurter Buchmesse bei der Veranstaltung Die Welt danach: Bruno Latour und Hartmut Rosa über die Folgen der Corona-Krise. Für Rosa ist dieser Befund insofern erstaunlich, da er Beschleunigung als essenziellen Bestandteil der modernen Gesellschaft sieht, in der der aktuelle Mensch lebe. „Die moderne Gesellschaft zwingt uns, die Geschwindigkeit zu erhöhen, um da zu bleiben, wo wir sind“, zeigte er sich überzeugt. Bereits im 18. Jh. habe diese Entwicklung eingesetzt, zu dieser Zeit hätten Institutionen nur „durch die Erhöhung der Geschwindigkeit“ stabilisiert werden können. Wo dies nicht gelang, seien Arbeitsplätze verloren gegangen.

Generell sei die Beschleunigung in allen Lebensbereichen Ausdruck einer grundsätzlichen menschlichen Sehnsucht nach Fortschritt in der Moderne: „Die moderne Gesellschaft ist vom Wunsch beseelt, den Horizont über das Verfügbare hinaus zu erweitern“, so Rosa. Diese Entwicklung sei durch Corona nun vorerst gestoppt, Routinen unterbrochen. Für ihn auch eine Chance zur Veränderung, denn aktuell gäbe es „Momente der historischen Verzweigung, wo sich der Weg verändert.“ Die Gesellschaft müsse sich nun die Frage stellen, so der Soziologe, ob sie zum „alten Normal“ zurück oder neue Lösungen finden wolle. Für Rosa selbst ist die Antwort klar: „Das alte Normal ist ungesund.“

Corona als Chance für eine neue Lebensführung?

Doch kann Veränderung gelingen? Rosa will dies zumindest nicht kategorisch ausschließen. Schließlich zeige sich in der aktuellen Situation, dass es durchaus möglich ist, „politisch im großen Maßstab“ zu agieren. Wichtig ist das für ihn deshalb, weil „politische Bewegungen“ in Bezug auf den Klimawandel „nichts erreicht“ hätten: „Die physische Bewegung steigt immer mehr“, konstatierte Rosa für die Zeit vor Corona. Aktuell ginge aber „alles nach unten“ und dies sei nicht nur dem Virus, sondern auch politischen Entscheidung geschuldet. Auch diese würden physische Mobilität niedrig und „die Flugzeuge am Boden halten“.

Chancen für eine nachhaltige Veränderung sieht auch sein Gesprächspartner Bruno Latour. Der Philosoph und Soziologe appellierte: „Wir sollten Covid als Moment nutzen, um zu fragen, was wir in Zukunft tun sollten und was wir nicht mehr tun sollten. Der Virus zwingt uns, etwas zu unternehmen.“ Besonders in Bezug auf den Klimawandel sei die Frage nach der zukünftigen menschlichen Lebensweise zentral, so Latour, denn dieser bleibe ja trotz Corona bestehen.

Doch wie könnte eine solche Veränderung aussehen? Für Hartmut Rosa würde sie damit beginnen, Natur nicht mehr „als zu nutzende Ressource oder zu formendes Objekt“ allein anzusehen, sondern den Menschen als Teil der Natur zu begreifen, auf die er angewiesen sei.  Für Rosa ist die Klimakrise auch ein Problem der Kommunikation: Der Mensch habe dieses Bewusstsein der Interaktion und seiner Verbundenheit mit dem ökologischen System verloren, müsse wieder mehr in den Dialog mit seiner Umwelt treten, „zuhören und antworten“. Auf einen solchen Dialog hofft auch Bruno Latour, der vorsichtig optimistisch ist. So befassten sich die Menschen aktuell „viel bewusster mit ihrer Umgebung“ und würden auch eine „andere Haltung“ dazu entwickeln, sagte er.