Dr. Anja Johannsen mit Städtegruppenmitgliedern aus Göttingen und Hannover (© 2011 Stephan Brünig)

Dr. Anja Johannsen mit Städtegruppenmitgliedern aus Göttingen und Hannover
(© 2011 Stephan Brünig)

Am 5. Mai warfen Mitglieder der Städtegruppe Hildesheim-Hannover-Göttingen einen Blick hinter die Kulissen des Literarischen Zentrums der Universitätsstadt Göttingen.

Etwas versteckt liegt es ja schon, das Literarische Zentrum in der Düsteren Straße. In einem Innenhof mit Café und Biergarten muss man erst einmal den Eingang suchen, doch wir werden bald fündig. Im 1. Stock begrüßt uns die Geschäftsführerin Dr. Anja Johannsen. Etwas zögerlich wagen wir, die sechs neugierigen Besucher aus Göttingen und Hannover, uns in den schlauchförmigen Raum hinein. Auf den zweiten Blick erkennt man im hinteren Teil des Raumes die Stuhlreihen für die Besucher und mehrere Röhrenmonitore, die zwischen den Holzbalken hängen und ein bisschen Kinoflair verbreiten.

Der Vortragsraum im Literarischen Zentrum (© 2011 Stephan Brünig)

Der Vortragsraum im Literarischen Zentrum
(© 2011 Stephan Brünig)

Unsere Gastgeberin freut sich über unser Interesse. Anja Johannsen, die zuvor am Literaturhaus Zürich tätig war, hat nun seit etwa einem Jahr die Leitung des Literarischen Zentrums Göttingen inne. Finanziert wird das bereits seit 11 Jahren bestehende Zentrum durch das Land Niedersachsen und die Stadt sowie mehrere Fördermitglieder, getragen wird es vom gleichnamigen Verein „Literarisches Zentrum Göttingen e.V.“ Neben Anja Johannsen sind eine weitere Mitarbeiterin speziell für das Programm „Literatur macht Schule“ sowie vier studentische Hilfskräfte im Zentrum tätig. Die offiziell als „Volontäre für Kulturmanagement“ bezeichneten Studenten werden durch die philologischen Institute der Universität Göttingen für jeweils ein Jahr vermittelt. „Ohne die Volontäre wäre die Arbeit kaum zu bewältigen“, erfahren wir; sie übernehmen u.a. verschiedene Funktionen bei den Abendveranstaltungen, gestalten Programmhefte und Poster mit und verteilen diese in den Göttinger Buchhandlungen.

„Viele denken immer, die hat’s gut, die kann den ganzen Tag Bücher lesen“, lacht Anja Johannsen. Tatsächlich gehört die Sichtung der Neuerscheinungen der Verlage zu einem wesentlichen Teil der Programmarbeit. Das zweimal im Jahr erscheinende Programm umfasst für den Zeitraum eines halben Jahres Autorenlesungen, Diskussionsveranstaltungen zu literarischen und kulturellen Themen und Gesprächsabende. Ausgehend von den Verlagsvorschauen fordert das Literaturhaus von interessanten Titeln Textproben oder Druckfahnen an. Ist letztendlich eine Entscheidung für einen Autor gefallen, so kann dieser bei seinem Verlag für eine Lesung „gebucht werden“. „Die Autoren können sich heute dem Veranstaltungsbetrieb im Allgemeinen nicht mehr gänzlich verwehren“, stellt Johannsen fest. Neben Themen aus dem „Mainstream“ bietet das Programm des Literarischen Zentrums auch Veranstaltungen, die sicherlich nicht jeden interessieren, aber trotzdem ihre Zielgruppe finden. Reihen zu bestimmten Themen wie „Literaturverteiler. Orte, Medien, Akteure im literarischen Leben“, „Das Alter in der Literatur“ oder „neu_übersetzt“ sorgen für eine breite Vielfalt. Die Geschäftsführerin ist der Meinung: „Man muss so einem Programm auch eine persönliche Note geben.“

Die Lesungen werden von einem Moderator geleitet, der z.B. versucht, Hintergründe zu erfassen oder in der Diskussion mit dem Autor bestimmte Aspekte des Werkes zu vertieften. Für diese Funktion kann Johannsen häufig Literaturwissenschaftler von der Göttinger Universität oder Journalisten aus der Region gewinnen. Durch diese Kontakte vernetze man sich auch stärker innerhalb der Stadt. Die eingeladenen Autoren, für die Göttingen oft nur eine Station von vielen ist, werden unmittelbar vor der Lesung persönlich von ihr betreut. „Die Autoren merken es, wenn man ihr Buch gelesen hat“, meint Johannsen. Sie halte es für einen Fehler, „Autoren einzuladen und sie merken zu lassen, dass nur die Kasse gefüllt werden soll“.

Der Blick geht hoch auf die Bildschirme, die an den Wänden befestigt sind. „Diese sind für Live-Übertragungen der Veranstaltungen“, werden wir aufgeklärt. Bei der etwas ungünstigen Architektur des Raumes können bei einer gut gefüllten Veranstaltung nicht alle Besucher die Vortragenden sehen. Der vorherige Leiter des Zentrums sei ein Technik-Freak gewesen und habe daher die Bildschirmgeräte installiert, damit auch noch bis in den letzten Winkel hinein die Veranstaltung visuell verfolgt werden kann. Gefilmt wird jeweils von einem der Volontäre.

Der Vortragsraum, in dem wir uns befinden, bietet Platz für 99 Personen. Für Gespräche mit dem Publikum sei ein solcher kleiner Raum auch eher geeignet, findet Anja Johannsen. Bei größeren Veranstaltungen kann der Saal des Alten Rathauses der Stadt genutzt werden, der 250 Besucher aufnehmen kann. Werden Buchtitel oder bestimmte Themen ausführlich in den Medien besprochen, kann es durchaus vorkommen, dass entsprechende Veranstaltungen noch kurzfristig dorthin verlegt werden müssen. Ein Einzelfall blieb bislang die Lesung mit Herta Müller im Januar 2010. Nach Bekanntgabe ihrer Nobelpreis-Auszeichnung in Herbst 2009 musste die Göttinger „Lokhalle“ mit 800 Plätzen angemietet werden, um der großen Nachfrage gerecht zu werden.

Der zweite Schwerpunkt des Literarischen Zentrums ist das Bildungsprogramm „Literatur macht Schule“, das sowohl Schüler als auch Lehrer anspricht. Hierzu gehören Lesungen mit Kinder- und Jugendbuchautoren, Vorträge und Diskussionen mit Journalisten und anderen Personen aus der Kulturbranche. Marit Borcherding, die für dieses Programm zuständig ist, trifft sich direkt mit Lehrkräften um herauszufinden, welche Unterrichtsthemen sich für eine Veranstaltung eignen könnten. Zudem organisiert sie in Schulen des Göttinger Umlandes Vorlesestunden für die jüngeren Schüler. Insgesamt ergibt sich so eine recht heterogene Besuchergruppe. Keine Spur also vom berüchtigten „Silbersee“ (das Überwiegen von Besuchern fortgeschrittenen Alters) im Göttinger Publikum.

Wir dürfen das Büro ganz hinten im Stockwerk besichtigen, in dem sich an einer ganzen Wand Regale bis unter die Decke mit Ordnern und Archivmaterial türmen. Von hier aus gelangt man auf die Dachterrasse, auf der einige Autoren vor ihrer Lesung gerne noch mal eine Zigarette rauchen. Zum Abschluss spazieren wir hier draußen noch etwas umher und genießen die letzten Sonnenstrahlen des Tages.

Alice Velivassis