In der digitalen Revolution wurde Deutschland offenbar längst abgehängt. Tobias Kollmann und Holger Schmidt erörtern im Gespräch mit Sascha Lobo, was sich in Deutschland ändern muss, damit das Land wettbewerbsfähig bleibt.

Prof. Dr. Tobias Kollmann ist Inhaber des Lehrstuhls für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen und beschäftigt sich seit Mitte der 90er Jahre wissenschaftlich mit den Themen Internet, E-Business und E-Commerce. Holger Schmidt war lange Zeit für die Frankfurter Allgemeine Zeitung tätig und ist nun Chefkorrespondent mit Schwerpunkt ‚Internet‘ für das Magazin Focus. Er schreibt seit bald zwanzig Jahren über die Digitale Wirtschaft und unterrichtet außerdem im Fach ‚Digitale Transformation‘ an der Technischen Universität Darmstadt. In ihrem Buch Deutschland 4.0 – Wie die Digitale Transformation gelingt (Springer 2016) fragen Kollmann und Schmidt, wie ein digitaler Masterplan für Deutschland aussehen könnte –  und liefern diesen gleich mit. Eingebettet in wissenschaftlichen Kontext legen die beiden eine Betriebsanleitung für die digitale Transformation vor, die alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt.

 

Was ist digitale Transformation eigentlich?

„Die Veränderung von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozessen und Strukturen“, antwortet Kollmann. Schmidt ergänzt: Wie bei der Entwicklung der Agrar- zur Industriegesellschaft  findet nun eine Entwicklung der Industriegesellschaft in eine digitale Gesellschaft statt, nur eben wesentlich schneller. Eine positive Anleitung ist entsprechend nur möglich, wenn die Digitalisierung ganzheitlich betrachtet wird. Sascha Lobo hebt hervor, dass gerade die Bildung ein zentraler Bestandteil des 25-Punkte-Masterplans von Kollmann und Schmidt sei. Bildung sei der Schlüssel zur Vorbereitung der Gesellschaft auf die Transformation, aber auch hier hinke Deutschland im Vergleich zu Großbritannien oder Skandinavien weit hinterher. Es gehe eben nicht nur darum, Schulen mit WLAN auszustatten, sondern um die Frage, was denn damit angestellt werde. Aktuell finde der technische Fortschritt allerdings vor allem auf dem Schulhof statt, während das Klassenzimmer quasi in die „Kreidezeit“ zurückführe. Digitalkunde dürfe aber kein Risikofach sein, vielmehr müsse es Chancen ermöglichen auf Stellen, die durch die Digitalisierung zukünftig entstehen würden. Gerade jetzt sei die Zeit, um sich auf diese Veränderungen einzustellen, denn der technische Fortschritt werde nie mehr so langsam sein wie heute.

Auch die Gesellschaft nimmt im Buch viel Platz ein, führt bei Lobo jedoch zu Ernüchterung, wenn er an den rückständigen gesellschaftlichen und politischen Ausbau der digitalen Transformation denkt. Holger Schmidt bestätigt das: Deutschland habe alle eigenen Onlinemärkte aus der Hand gegeben, besonders die US-amerikanischen Firmen dominieren den Markt und wachsen schnell. Nun komme es darauf an in anderen Bereichen – wie beispielsweise der Automobilbranche oder der Industrie – voranzukommen, um nicht weiter abgehängt zu werden.

 

Wir wollen das schnelle Internet in vier Jahren, Südkorea hat es schon heute!

Ein aktuelles Beispiel sei die Breitbandinfrastruktur: Deutschland befindet sich weltweit auf Platz 24, vor Thailand, aber hinter Rumänien. Wie kann das sein? Genau das wäre der Bereich, in dem die Politik etwas bewegen könnte. Dieser Rückstand der digitalen Infrastruktur macht sich verschiedentlich bemerkbar. Die Landflucht junger Menschen kann mittlerweile in Verbindung mit der Internetgeschwindigkeit gesehen werden. Und auch für den Mittelstand wird der mangelnde Ausbau auf lange Sicht ein Problem, denn er stellt das Rückgrat unserer Wirtschaftsgesellschaft dar. Es sind also alle Bereiche betroffen. Auch die Arbeitswelt. Wie verändert die digitale Transformation die Arbeit, was wird beispielsweise aus Polizisten oder Bibliothekaren? Tatsächlich werden Routinejobs in der digitalen Revolution zuerst wegfallen bzw. ersetzt. Aber das sollte nicht beunruhigen: Neue Stellen müssten entwickelt werden. Dies führt wieder zur Bildung und Digitalkunde, denn nur wenn die Schulen entsprechend ausbilden, kann eine Transformation vorbereitet werden und auch gelingen. Ein kreativer Ansatz sei unbedingt notwendig, um diese neue Art der Wertschöpfung zu fördern.

Digitale Transformation betrifft uns alle. Wir können sie nur meistern, wenn wir Ängste abbauen und Chancen erkennen und nutzen. Aktivität und digitales Knowhow sind zentrale Instrumente zur Überwindung von Passivität. Oder wie Sascha Lobo es abschließend ausdrückt: „Beispiel Buchmesse. Ich schlafe nicht mehr im Hotel, sondern im Internet, weil ich über die Airbnb-App gebucht habe.“

 

Von Dominique Schikora