Hans-Jürgen Balmes und Martina Wolff© Stefan Gelberg

Hans-Jürgen Balmes und Martina Wolff
© Stefan Gelberg

Lars Claßen sprach mit Hans-Jürgen Balmes und Martina Wolff (beide S. Fischer) über die Veränderungen der Lektoratsarbeit.

Hans Jürgen Balmes Balmes, Sie sind seit 1983 in der Verlagsbranche tätig, inwiefern hat sich der Beruf des Lektors Ihrer Meinung nach in den vergangenen 25 Jahren verändert?
Balmes: Tatsächlich hat sich eine ganze Menge verändert. So wird etwa gerade in den größeren Verlagen die Zusammenarbeit der einzelnen Abteilungen immer wichtiger. Sobald der Startschuss gefallen ist und man weiß, in welche Richtung ein Buch geht, sind alle gefordert. Das liegt auch daran, dass die vielen Entscheidungsprozesse, die bis zum

Erscheinen eines Titels nötig sind, heute viel zu diffizil sind, um sie in einem großen Haus als Einzelnen zu schaffen.

Können Sie das näher ausführen?
Balmes: Es ist doch so: Unter der Leselampe werden kaum noch Entdeckungen gemacht. Diesen „Kult des Ichs“ finde ich ohnehin ziemlich übertrieben, zu sagen, „Ich hab’ den Autor XY entdeckt und die ganze Nacht nicht geschlafen“, das ist doch oft Quatsch. Ein guter Lektor muss vielmehr über eine Art Möglichkeitssinn verfügen, das Talent, unterschiedliche Lesarten und Stoßrichtungen eines Textes zu erkennen. Und darüber spricht und streitet man dann eben im Verlag. Das Ganze ist also weniger einsam, als es sich mancher vorstellt, und im Wesentlichen sehr viel teamorientierter.

Ein möglicher negativer Aspekt, der hinter der Notwendigkeit der Suche nach jenen Möglichkeiten steht, ist die Eventisierung der Einzeltitel. Der Autor dahinter wird immer unwichtiger, vom Verlag ganz zu schweigen…  
Balmes: Stimmt. Dazu fällt mir eine bezeichnende Anekdote ein: Nachdem ein Erzählband von Yann Martel nicht ganz den Erfolg erzielen konnte, den wir uns versprochen hatten, zeigte sich sein Übersetzer etwas verwundert. Immerhin handelte es sich um das Buch eines Booker-Prize-Gewinners. Er ging dann zu einem Freund und brachte ihm den Erzählband und Schiffbruch mit Tiger mit. Sein Freund zeigte sich sichtlich erfreut, als er den Titel des Romans las: „Schiffbruch mit Tiger, toll, hab’ ich gelesen, ganz wunderbar.“ Dann beim Blick auf den Autor des Erzählbandes: „Aber wer ist Yann Martel?“

Als Programmleiter für Internationale Literatur müssen Sie mehrere Märkte gleichzeitig im Blickfeld haben. Wie gehen Sie mit Titeln um, die aufgrund ihrer Paratexte vielversprechend erscheinen, die Sie selbst aber nicht im Original lesen können? Wie oft müssen Sie Entscheidungen in Abhängigkeit vom Urteil Anderer treffen?
Balmes: Sehr oft. Da wir aber über ein großes und dennoch dichtes weltweites Netzwerk verfügen, können wir das Risiko im Vorfeld abfedern. Außerdem: Paranüsse sind eigentlich Erbsen, Paratexte muss man ebenso lange kochen…

Das heißt die Größe seines Netzwerks spielt für den Lektor eine entscheidende Rolle?

Balmes:  Schon, aber so einfach ist das nicht. Jeder Programmleiter und Lektor ist gewissermaßen zunächst Verleger für seinen Titel, seine Aufgabe ist es, eine Binnenöffentlichkeit zu schaffen, er ist der Anwalt seines Buches, nach Innen und nach Außen. Da  der Druck auf uns alle, große wie kleine, größer wird, sogenannte Spitzentitel zu haben, konzentriert er sich zunehmend auf immer weniger Bücher, die dafür zwei Drittel des Umsatzes generieren sollen. Auch eine Veränderung, die man sehen muss: Früher, in den Siebzigern, galt man als literarischer Verlag, der mit seinen Büchern auf der Bestsellerliste stand, als fast obszön, die wahren Musikfans hören schließlich auch nicht, was in den Top Ten ist. Das ist heute anders.

Was sagt das über die Literatur aus?
Balmes: Genrenahe Titel lassen sich leichter unterbringen. Es findet eine Annäherung statt: Die Unterhaltungsliteratur wird literarischer, die Hochliteratur unterhaltender.

Martina Wolff, Sie haben bei S. Fischer zunächst eine Ausbildung zur Verlagsbuchhändlerin absolviert und arbeiten dort nun als studentische Aushilfe, wie sehr werden Sie in die Produktion der Titel miteinbezogen?
Wolff: Glücklicherweise findet eine starke Integration in die Arbeitsabläufe statt, es wird uns großes Vertrauen entgegengebracht. Sehr gefreut habe ich mich zum Beispiel darüber, die Übersetzungsredaktion eines gar nicht so unbekannten Autors übernehmen zu können.

Das heißt der Verlag weiß den Nachwuchs durchaus zu schätzen.
Balmes: Aber ja. Er kann die Texte oft viel besser eines „reality checks“ unterziehen.

Wolff: Bei Spannungsromanen fällt das besonders auf. Ob ein Text funktioniert ist in gewisser Weise auch abhängig von seinem Leser.

Bei S. Fischer sind die Programmleiter sowohl für das Hardcover-Programm als auch für das Taschenbuch zuständig, das ist vergleichsweise ungewöhnlich…
Balmes: … und funktioniert wunderbar. Nach dem Weggang von Arnulf Conradi und Wolfgang Balk in den Neunzigern hatte der Verlag einige wirtschaftliche Schwierigkeiten, eine Umstrukturierung musste her. Die Dynamik, die wir dann mit der Entscheidung, die Lektorate zusammenzulegen, freigesetzt haben, ist unverkennbar. Das Taschenbuchsegment ist aus ökonomischer Sicht betrachtet bedeutender als das Hardcover und kann für die Arbeit an den Erstausgaben als Schubgeber und Motivator einstehen.

Neben Ihrer Tätigkeit als Verlagslektor übersetzen Sie Bücher aus dem Englischen. Allgemein neigen Lektoren dazu, sich auf unterschiedlichen Gebieten rund um die Literatur auszutoben, die einen schreiben Kritiken, andere lehren an Universitäten, einige übersetzen. Was, glauben Sie, steckt dahinter?
Balmes: Da kann ich nur für mich sprechen. Die Verlagsarbeit ist ein schnelles Geschäft, es gibt viele Titel, die geradezu an einem vorbeihuschen. Da bereitet es immer wieder Freude, wenn man sich einem Text mit aller Aufmerksamkeit widmen kann. Außerdem ist das Übersetzen eine gute Übung. Auch die Seminare, die ich in Frankfurt gebe, machen großen Spaß, der Kontakt zu jungen Lesern ist wichtig. Ältere Lektoren denken ja immer, sie wüssten genau, was junge Menschen lesen wollen. Das ist oft eine böse Falle …

(beide lachen)

Wolff:
Manchmal tun sie das ja auch.

Welches Buch hätten Sie aus, sagen wir, persönlicher Zuneigung gerne gemacht, mussten es aus ökonomischen Gründen aber ablehnen?
Balmes: Das kann ich so genau nicht sagen, grundsätzlich sollte man an seinen Autoren festhalten. Von Richard Powers etwa haben die ersten beiden Bücher nicht einmal die Tausender Marke überschritten. Erst mit seinem dritten Roman, Der Klang der Zeit, ist er bei uns eingeschlagen…

Wolff: …dafür aber richtig. 80.000 verkaufte Exemplare waren das damals, ein schöner Erfolg.

Balmes: Wir haben neben unserer wirtschaftlichen ja vor allem auch eine kulturelle Aufgabe. Das zeigt sich auch an unseren Debüts. Unserer Philosophie nach spielen wir auf Mann- und nicht auf Raumdeckung, um möglichst nah dran zu sein an der Literatur. Das wiederum hat zur Folge, dass wir auf unseren Schreibtischen viele, sehr interessante Manuskripte liegen haben, die wir nicht sofort umsetzen können.

Finden Sie überhaupt noch Zeit für die Bücher, die Sie rein persönlich interessieren und mit Ihrer Arbeit zunächst nichts zu tun haben?

Balmes: Aber ja, Gott sei dank.

Welche Bücher wären das?   
Balmes: Zuletzt die Haiku-Bücher von Reginald Horace Blyth und die Plain Tales from the Hill von Kipling.

Wolff: Die Autobiographie von Eric Clapton.

Vielen Dank für das Gespräch.


Interview: Lars Claßen



Hans-Jürgen Balmes
begann seine Verlagslaufbahn 1983 mit einem Praktikum bei Hanser in München. Nach Tätigkeiten für die Schweizer Verlage Benziger und Ammann ist er seit 1999  Programmleiter für Internationale Literatur beim Verlag S. Fischer.
Martina Wolff absolvierte ihre Ausbildung zur Verlagsbuchhändlerin bei S. Fischer, wo sie heute neben ihrem Studium der Amerikanistik, Romanistik und Germanistik als studentische Aushilfe arbeitet.