Das Huhn freut sich. Sein Freund, der Hase, hat ihm eine große Kiste zum Geburtstag geschenkt. „Aber da ist ja gar nichts drin? Du hast mir eine Kiste mit nichts geschenkt?!“ fragt das Huhn vorwurfsvoll – in deutscher Lautsprache, in Untertiteln und in Deutscher Gebärdensprache.

Das Kinderbuch Eine Kiste nichts von Lena Hesse würde durch das inklusive Buchprojekt  „Kinderbücher in Gebärdensprache“ des Gehörlosenverbandes München und Umland als bilinguales, digitales Buch in deutscher Lautsprache und Deutscher Gebärdensprache umgesetzt. Huhn und Hase hüpfen animiert durchs Bild, ihre Dialoge werden vorgelesen, erscheinen als Sprechblase auf dem Bildschirm und werden anschließend durch eine Schauspielerin gebärdet.

Screenshot aus "Eine Kiste Nichts"

Screenshot aus „Eine Kiste Nichts“

 

„Es gibt bisher kaum Kinderbücher in Gebärdensprache“, sagt Ulla Hannig, Koordinatorin des Projektes. Überhaupt gäbe es nur wenig Videos ohne Ton und in Deutscher Gebärdensprache. Kinder bräuchten jedoch Bücher in ihrer Muttersprache – für gehörlose und viele gehörgeschädigte Kinder sei dies die Deutsche Gebärdensprache. Das Lesen und Vorlesen von Kinderbüchern sei Teil der bilingualen Förderung und von großer Bedeutung  für Sprachentwicklung wie Lesekompetenz.

Das Projekt „Kinderbücher in Gebärdensprache“

Von der Aktion Mensch für zwei Jahre gefördert, hat sich das Projekt zum Ziel gesetzt, 12 Bücher für Kinder zwischen 3 und 6 Jahren in die Deutsche Gebärdensprache zu übersetzen und online kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Dem inklusiven Anspruch des Projektes entsprechend setzt sich das Team sowohl aus gehörlosen wie hörenden Mitarbeiter*innen zusammen. Bisher wurden unter anderem die Märchen Frau Holle sowie Der Froschkönig und die Geschichten Der Esel und das Pferd sowie Der Löwe und die Maus übersetzt, aufgenommen und animiert. In den digitalen Büchern haben Kinder die Möglichkeit, aus allen Kanälen – Lautsprache, Schriftsprache, Gebärdensprache – auszuwählen.

 

Größte Hürde bei der Umsetzung der Bücher sei häufig die Lizenzverhandlung mit den Verlagen, so Hannig, sodass Lizenzrechte bei der Auswahl der Bücher eine große Rolle spielten. Anschließend sucht das Team geeignete Darsteller*innen und Synchronsprecher*innen, führt Filmaufnahmen und Schnitt durch. Animateur*innen und Grafiker*innen brächten das Buch in Bewegung, erklärt Grafiker Christian Melcher und zeigt Beispiele aus dem Arbeitsalltag des Teams sowie verschiedene digitale Bücher. Jedes Kinderbuch sei anders gestaltet, sodass mal mit Untertiteln, mal mit Texteinblendungen, mal ganz ohne Text gearbeitet würde. So ist das Märchen Der Froschkönig ganz ohne Text gestaltet. Die teilanimierte Geschichte nimmt, von der Prinzessin gebärdend erzählt und mit Lautsprache unterlegt, rasant und ausdrucksstark ihren Lauf.

Neben der Übersetzung der Kinderbücher werden Lesungen mit den Filmbüchern als Kinderkino in Bibliotheken und schulvorbereitenden Einrichtungen durchgeführt, die sich an ein gemischtes Publikum richten. Melcher beschreibt die Veranstaltungen und sagt, diese würden von den Kindern in der Regel begeistert aufgenommen. Darüber hinaus würden auch Projekte durchgeführt, bei denen Kinder selbst Gebärdendarsteller*innen seien und Bücher vortrügen. Dies seien besonders schöne, beeindruckende Projekte.

 

Christian Welcher © Hanna Leister

Christian Welcher © Hanna Leister

Neben der Zusammenarbeit mit Bibliotheken und Schulen sowie der engen Zusammenarbeit mit Förderzentren sei das Projekt auf Buchmessen präsent und biete Fachvorträge an Universitäten an. Durch die wissenschaftliche Evaluation, die sich gerade in ihrer ersten Auswertungsphase befinde, würden außerdem die Auswirkungen auf kindliche Sprachentwicklung und Identitätsbildung untersucht, um das Projekt und seine Arbeitsweise weiter zu verbessern.

 

Zielgruppen

Die Zielgruppe der bilingualen Bücher sei vielfältig. So richteten sie sich in erster Linie an hörbehinderte Kinder zwischen 3 und 6 Jahren, also solche, die ein Cochlea-Implantat trügen, gehörlos oder schwerhörig seien. Zur Nebenzielgruppe gehörten hörende Geschwister oder die hörenden Kinder gehörloser Eltern. Gerade hörende Eltern gehörloser Kinder seien häufig unsicher, welche Muttersprache ihr Kind benötige und wie sie die sprachlichen Bedürfnisse ihrer Kinder am besten erfüllen könnten, erklärte Melcher. Auch hier seien die bilingualen Bücher eine willkommene und notwendige Ressource, die die ganze Familie gemeinsam nutzen könne.

Zur Erwachsenenzielgruppe gehörten außer Eltern und Verwandten auch Lehrer*innen an Schulen, in inklusiven Kindergärten und in der Dolmetscher*innenausbildung. Das Gebärden für Kinder stelle hier eine besondere Herausforderung dar.

Screenshot aus "Der Froschkönig"

Screenshot aus „Der Froschkönig“

 

Ausblick

Gegenwärtig bemühe sich das Projekt um eine Verlängerung, da die Förderung durch die Aktion Mensch im kommenden Sommer auslaufe. Bis dahin sei die Übersetzung drei weiterer Bücher geplant: Etwas Besonderes, Adams Buch sowie das bekannte Kinderbuch über den reisenden Hasen, Briefe von Felix, für das allerdings die Vertragsverhandlungen noch liefen. Langfristiges Ziel sei es, gehörlosen Kindern all das in ihrer Sprache zur Verfügung zu stellen, was es für hörende Kinder auch gebe. Darüber hinaus sei geplant, weitere Altersgruppen einzubeziehen und neben Belletristik auch Sachbücher zu übersetzen.

In der wissenschaftlichen Arbeit zeigten sich erste Ergebnisse, die verdeutlichten, wie wichtig Geschichten, die alle Sinneskanäle ansprechen, für hörbehinderte Kinder seien. Gerade die Lesekompetenz, die bei gehörlosen Kindern häufig weniger stark sei, profitiere hier.

Zum Ende der bilingualen Veranstaltung erkläre Ulla Hannig, sie wünsche sich für die Zukunft „mehr Bücher, mehr Finanzierung, mehr Umsetzung“. Von den Besucher*innen wurde das Projekt mit hohem persönlichem und beruflichem Interesse und großer Begeisterung aufgenommen: Die Beiträge der abschließenden Diskussion reichten von Feedback und Anregungen zu Vortragsanfragen an Universitäten.

Hanna Leister