Der Saal im schönen Münchner Literaturhaus ist schon recht voll, als ich ankomme, und die Ersten spekulieren schon über die gleich startende Podiumsdiskussion zum Thema „Bits/Bytes und Bücher. Was kann die Buchbranche bei der Digitalisierung von Produkten und Produktionsprozessen aus den Erfahrungen anderer Wirtschaftszweige lernen?“ Die Herrschaften auf dem Podium sind auch nicht ganz unerfahren auf diesem Gebiet: Dr. Holger Enßlin – Chief Officer Legal, Regulatory & Distribution bei Sky Deutschland, Prof. Dr. Svenja Hagenhoff – Professorin für Buchwissenschaften an der Uni Erlangen-Nürnberg, Bertram Brossardt – Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft und Frank-H. Häger – Vorstand der Ganske Verlagsgruppe für Buch, Elektronische Medien und Versandbuchhandel. Ziemlich hochkarätig, wie man sieht, und dazu als Moderator Hans-Jürgen Jakos, der Chefredakteur des Handelsblatts, der vermeintlich frech-fröhlich mit der Frage an das Publikum startete, wer denn Amazon möge. Die gehobenen Hände hielten sich in Grenzen, der Elan der Podiumsgäste von da an leider auch.
Aber immerhin gab das den Startschuss für die „Diskussion“ – träges Gespräch könnte man es auch nennen –, 1. Stichwort: Amazon vs. Hachette/Bonnier. Während Herr Enßlin (Sky) in einem 5-Minuten-Satz ausführte, dass das Internet eben eine neue Globalisierung schaffe und dadurch riesige Unternehmen mit weltweitem Zugriff entstünden und Frau Hagenhoff beklagte, dass die Schelte Amazons nur den Blick auf das, was wirklich zählt und sich wirklich verändert, z. B. Jobprofile, verstelle, führte Herr Häger (Ganske) aus, dass Amazon diese Methoden nicht zum ersten Mal anwende und das wirkliche Problem darin bestehe, dass es keine internationale Konditionenregelung bzgl. Ebooks gebe. Diese muss erst erarbeitet werden. Unterdessen ist es ein völlig normales Vorgehen auf dem Markt – und für Bücher herrschen nun mal die üblichen Marktstrategien –, dass Konditionen in einem solchen Machtgerangel, wie wir es gerade erleben, ausgehandelt werden. Dennoch bleibt festzuhalten, dass dieser Konditionenkampf erst seit etwa 10 Jahren so brutal geführt wird wie derzeit. Wichtig ist besonders, dass man in der Digitalisierung nicht das Schreckgespenst des 21. Jahrhunderts sehe, so Brossardt, sondern Arbeitsplätze, Jobprofile und Geschäftsmodelle daran anpasse, um global mithalten zu können. Dem stimmte Häger zu, schränkte aber gleichzeitig ein, dass diese Entwicklung allmählich vonstattengehen wird, denn noch ist der Printbereich stärker.
2. Stichwort: Ebook-Markt und Buchhandel. Daher müssen auch die Buchhandlungen nicht panisch werden, seit Jahren liege der Anteil des Online-Buchhandels konstant bei 20 %, der Ebook-Anteil am Gesamtgeschäft pendele sich in den USA gerade bei 25 % ein, in Deutschland seien es lediglich 5 %, Tendenz allerdings recht stark steigend. Während einige Genres im Ebook-Geschäft eher schlechte Karten haben, sieht es für andere sehr gut aus. Aber gibt es da ein Erfolgskonzept? „Nein“, meinte Frau Hagenhoff, „Porno“, rief begeistert Herr Häger (überflüssig zu erwähnen, an welche Bücher er da dachte). Einig waren sich alle darin, dass ein guter Job beim Buchhändler immer so aussieht, dass er gut berät, für Datensicherheit sorgt und den Kundenkontakt herstellt und hält – wie das im Einzelnen aussieht, muss jeder für sich herausfinden (nein, für konkrete Vorschläge war diese Runde nicht zu haben).
3. Stichwort: Buchpreisbindung. Während ich nie an der Sinnhaftigkeit der deutschen Buchpreisbindung zweifelte, sowohl privat als auch als (junger) Verlagsmensch, hat sie aber offenbar auch Nachteile, wie mich Frau Hagenhoff belehrte. Schließlich sorge sie dafür, dass den Buchhandlungen ein finanzieller Steuerungsmechanismus fehle. Erhöhen sich beispielsweise die Mieten, kann eine Buchhandlung nicht einfach die Buchpreise anheben. Gott sei Dank, sagte Herr Häger, schließlich sorge nur das bei den Verlagen für Planungssicherheit, denn wenn man einen Preis nicht einfach anheben kann, kann man ihn auch nicht mal eben so heruntersetzen – und davon profitieren alle. Mag sein, so Hagenhoff, doch Homogenität bei den Konditionen bezüglich Print und Ebook müsse her. Richtig! Das hatten wir aber schon am Anfang geklärt.
4. Stichwort: Self-Publishing. Die ohnehin schon nicht so redefreudige Runde wurde an diesem Punkt nun sehr zurückhaltend. Na ja, so richtig lukrativ ist das für Verlage nicht, aber, wie die Zahlen beweisen, für Autoren eigentlich auch nicht. Dennoch steigen die Self-Publishing-Titel beständig an und einige Verlage haben ja auch schon Self-Publishing-Plattformen gegründet. Auch die Ganske-Gruppe denkt darüber nach, wägt aber die wirtschaftlichen Vor- und Nachteile lieber noch ein bisschen ab. Der Meinung von Herrn Enßlin (Sky), dass sich Leser und Autoren in letzter Zeit nicht verändert hätten und sie deswegen in dieser Diskussion auch kaum zur Sprache kommen, traten dann aber sowohl Podiumsdiskutierende als auch Publikum entgegen. Gerade beim Thema Self-Publishing wird ja eigentlich deutlich, dass der Leser auch der Autor ist, zumindest zum Teil – und dieser Teil ist noch viel zu groß, sagte Häger. Von 100.000 Neuerscheinungen pro Jahr ist nur ein verschwindend geringer Bruchteil auch wirklich erfolgreich. Ja, aber spielen denn die Leser tatsächlich gar keine Rolle? Doch, sagte Hagenhoff – in Zukunft werden sie Diversität und noch mehr Format-Heterogenität einfordern, und die Verlage müssen zusehen, wie sie das mit ihrer Prozessminimierung unter einen Hut bringen. Das könne man sich in der Automobil-Branche abschauen. Was genau die aber so toll machen, wusste sie anscheinend auch nicht. Zumindest waren wir nun aber endlich beim eigentlichen Kernthema angelangt – das allerdings nur auf Nachfrage aus dem Publikum. Schließlich sollte das doch die Abschlussfrage sein, so der Moderator.
Also, 5. Stichwort, gleichzeitig Kernthema und Abschlussfrage: Was kann sich die Buchbranche woanders abschauen? Zuerst einmal müsse man die Digitalisierung und die damit einhergehenden grundlegenden Veränderungen akzeptieren und sich fragen: Was kann die Digitalisierung für mich tun, und nicht ich für sie, so Brossardt. Beim Fernsehen solle man sich laut Enßlin lieber nichts abgucken, diese Branche suche selbst noch und habe leider noch keine Lösung parat. Es schadet aber nicht, sein Kernklientel wie gewohnt zu bedienen und sich gleichzeitig auf die jungen, hippen Nutzer einzustellen. Und während Frau Hagenhoff an den Autos festhielt, schwärmte Herr Häger von der neuen Ikea-Werbung: Das digitale Marketing geschickt einzusetzen könne auch nicht schaden. Und was ist mit der Musikbranche, meldete sich jemand aus dem Publikum zu Wort, die hätten die Probleme doch super gelöst, schon vor 30 Jahren. Ja, gähnte Herr Häger, wissen wir, kennen wir. Schließlich probiert auch die Buchbranche Neues aus und sucht nach modernen Konzepten, doch wenn die Leser sie nicht annehmen, werden sie halt wieder eingestellt.
Und die Moral von der Geschicht‘? Gut, dass Herr Häger von Ganske da war – der konnte wirklich was sagen und traute sich das auch, während Frau Hagenhoff nur darauf beharrte, dass auch sie als Professorin nicht in die Zukunft schauen könne. Alle anderen drei (ja, der Moderator eingeschlossen), hatten anscheinend keine große Lust, sich zu äußern, und letztlich auch kein Ahnung, wenn man von den Wortmeldungen ausgeht. Wieso hat nicht jemand auf dem Podium gesessen, der durch neue Ideen Schwung in die Branche bringt und zeigt, dass die Bücherbranche der Digitalisierung nicht hilflos ausgeliefert ist, auch wenn uns diese Diskussion das Gegenteil vermitteln wollte? Denn eins wissen wir nun: Von anderen lernen wir auch nichts. Selbst ist der Mann – und die Frau, der Buchhändler, die Verlegerin, der Leser, also alle, die Bücher lieben. Liebe Buchbranche, mach dein Ding!
Ein Bericht von Susann Harring