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© Kristina Petzold

Seit letztem Jahr findet der „open mike“ in Berlin Neukölln statt. Zwischen Gemüseauslage, Ein-Euro-Laden und Leuchtreklame biegen die Literaturpilger in den Eingang zum Hinterhof des „Heimathafens“ ein – nachdem sie dreimal daran vorbeigelaufen sind. Fragt man den Berliner, so wundert der sich nicht darüber, dass der wichtigste Nachwuchswettbewerb der deutschsprachigen Literatur in Neukölln stattfindet. Denn er weiß, Neukölln steckt mitten in der „Gentrifizierung“ und wehrt sich mit vielen jungen Zugezogenen beharrlich gegen das Schmuddelimage.

Die Neuköllner Bezirksstadträtin, Dr. Franziska Giffey, spricht auf der open-mike-Bühne darüber, wie stolz und froh sie ist, den open mike seit 2012 in Neukölln zu Gast zu haben: „Gerne auch über das Vertragsende 2014 hinaus.“  Bei diesem überraschenden Angebot lugt der Organisator des open mike, Dr. Thomas Wohlfahrt, vom Seitenrand auf die Bühne und versucht mit wedelnden Armen seine Begeisterung darüber auf das Publikum zu übertragen. Herzerwärmend. Das perfekte Paar also – Neukölln und der open mike?

„Immer noch sind fast neunzig Prozent der Schüler hier in Neukölln ,lmb-Kinder‘, das heißt, dass sie von Zuschüssen zu den Lehrmitteln befreit sind.“ Nachdenklich mache sie das, meint Franziska Giffey, wenn sie das mit den hervorragenden Leistungen der „jungen Menschen im Saal“ vergleiche. Kurz danach beginnt der erste Text: „Mesopotamisches Gelb …“

Das hier ist kein Ort, um zu nörgeln, denn der open mike war spannend, inspirierend, hochwertig. Trotzdem gesellt sich zu der Mischung aus Dönerduft und intellektuellem Zigarettennebel der fahle Beigeschmack, dass man in diesen hohen literarischen Kreisen gerne unter sich bleibt.

Kristina Petzold