von Stefan Katzenbach

Welche Rolle TikTok für den Ausgang von Wahlen und die Beförderung radikaler politischer Positionen spielt, ist längst Gegenstand aktueller Debatten. In den gesellschaftlichen Blick gerät nun mehr und mehr auch BookTok, ein Teil der Social-Media-Plattform auf dem über Literatur diskutiert und Bücher empfohlen werden. Kann die Lektüre dieser oft vielfältig ausgerichteten Bücher ein Gegenwicht zu politischen Positionen bilden, die Hass und Hetze befördern? Das wurde am Buchmessesamstag diskutiert.

Wenn über die Zustimmungswerte der AfD gesprochen wird, besonders bei jungen Menschen, dann wird TikTok schnell als Ursache genannt. Diese Erklärung ist Johannes Hilje allerdings zu einfach: „Inhalte reichen noch nicht fürs AfD-wählen. TikTok ist Mittel, aber keine Ursache“, so der Politikberater bei der Veranstaltung „Mit BookTok gegen Populismus auf TikTok: Kann Literaturkritik ein Gegengewicht zu politischem Extremismus sein?“. Für ihn liegen die Ursachen tiefer: „Junge Menschen haben durch Krieg und Inflation Angst vor der Zukunft. Die AfD präsentiert sich als Lösung.“
Allerdings spiele die Social-Media-Plattform eine wesentliche Rolle für die Gewinnung von Wähler:innen für die AfD. TikTok begünstige durch seine Inhalte emotionale Entscheidungen und Populist:innen emotionalisierten Menschen durch ihr Verhalten, so Hillje. Die AfD habe dafür eine Strategie entwickelt, die politisches Handeln und Social Media verknüpft: „Die AfD hält im Bundestag TikTok-konforme Reden, die perfekt in kurze Videos passen.“

TikTok nicht der AfD überlassen

Diese Strategie und die generelle Präsenz bei TikTok sei eine Reaktion auf schlechte Umfragewerte bei jugendlichen Wähler:innen gewesen. So sei die AfD ein „first mover“ und als eine der ersten Parteien auf TikTok vertreten gewesen. Die Plattform sorgte auch in der deutschen Politiklandschaft aufgrund ihres Formats kurzer, oft reißerischer Inhalte einerseits, aber der großen Verbreitung andererseits, und der Präsenz der AfD auch für politische Debatten: „TikTok stellt die deutsche Politik vor ein Dilemma. Zur Europawahl war die Frage: Sollte man mitmachen und den Einfluss dieser umstrittenen Plattform noch größer machen, oder sie der AfD überlassen?“, gab Hillje, der selbst an diesen Diskussionen beteiligt war, einen Einblick. Die Entscheidung der Parteien sei schließlich gewesen, selbst aktiv zu werden und den Raum zu gestalten. Dies haben auch BookToker:innen vor der Europawahl getan und unter dem Hashtag #booktokgegenrechts dazu aufgerufen wählen zu gehen und demokratische Parteien zu unterstützen. Die Gründe dafür erklärte Yannik Stuhr, Autor und selbst BookToker: „Es machte BookTokern Angst, was politisch passierte und BookTok erreicht junge Leute.“

Dass dieser Aufruf und auch die Versuche der anderen Parteien für die Europawahl letztlich wenig bewirkten, liegt für Johannes Hillje vor allem an der kurzen Vorlaufzeit: „Der Gegentrend kam zu spät, hatte deswegen keine große Wirkung. Bei der Bundestagswahl (im September 2025, Anmerk.  d. Red.) wird man sehen, ob demokratische Parteien mehr Reichweite haben.“

Auf dem „Marktplatz“ ein Gespräch anfangen

TikTok selbst sieht er durchaus als geeignetes Medium für politische Bildung. Man könne über das Medium „ein Gespräch anfangen“, ähnlich wie Händler:innen auf dem Marktplatz, um mit Menschen in Kontakt zu kommen und Interesse zu wecken. Die weiterführende Bildung müsse dann aber auf einem anderen Medium erfolgen, das mehr Raum für tiefere Inhalte biete. Deswegen sei die Verkürzung der Inhalte auf Tiktok auch nicht per se problematisch, so Hillje auf die Frage von Knut Cordsen, der als Literaturkritiker arbeitet und zusammen mit seiner Kollegin Miriam Fendt das Gespräch moderierte.
Zum Problem werde die Verkürzung dann, wenn sie die Aufmerksamkeitsspanne der Zusehenden senke und es im Anschluss keine weitere kritische Beschäftigung mit den Inhalten gebe, sagte Hillje.
Dies sei bei BookTok aber gegeben, nach der Präsentation der Bücher könne man sich mit diesen beschäftigen und sie lesen. Deswegen ist für Hilje BookTok auch ein guter Ort der tieferen Auseinandersetzung mit literarischen Inhalten. Und Aufrufe wie „BookTok gegen rechts“ seien auch noch aus einem anderen Grund sinnvoll: „Menschen sehen auf TikTok auch Inhalte von Accounts denen sie nicht folgen“, so könnten Menschen „die Buchinhalte sehen“ und würden auch auf den Wahlaufruf aufmerksam.

Die Möglichkeiten der Literatur(kritik)

Welche Wirkung aber haben BookTok und seine Literaturkritik auf den politischen Diskurs? Haben sie eine „demokratische Kraft“, wollte Miriam Fendt wissen.

„Wir können die Leute nicht aktiv umstimmen, nur indirekt auf Bücher verweisen und Leuten zugänglich machen“, so Yannik Stuhr.
In der Literatur fänden Menschen aber durchaus Orientierung: „Klassiker haben universelle Lektionen und die Gegenwartsliteratur zeigt aktuelle Themen.“
Den Wert der Literatur und der Literaturkritik für einen reflektierten und respektvollen Diskurs betonte auch Johannes Hillje: „Literaturkritik kann Vorbild für Kritikfähigkeit sein.“
Dies sei besonders wichtig für den Bereich der Politik: „Momentan gibt es eine starke Polarisierung und eine Unfähigkeit zur Kritik in der politischen Debatte.“ Orientierung an der Herangehensweise der Literaturkritik könne da helfen, denn sie setze sich „mit dem Werk auseinander“.
Genauso müsse sich Politik mit Gesetzen und Inhalten auseinandersetzen.