Von Vanessa Knauer

Der Workshop zum nachhaltigen Publizieren begann kommunikativ, wie es schon lange nicht mehr möglich war bei den Jahrestreffen der JVM: man traf sich an der Kaffeetheke, unterhielt sich darüber, welche der identischen Kannen denn nun Wasser für Tee enthielt und reichte die Getränke weiter an diejenigen, die im engen Konferenzraum zu weit weg saßen. Auch Kajsa war sichtlich erfreut, darüber uns zu treffen und lud zunächst zu einer kleinen Vorstellungsrunde ein. Es stellte sich heraus, dass die meisten Nachhaltigkeit persönlich als sehr wichtig empfinden, gerne mehr darüber wüssten im Bezug auf die Buchbranche. Die dringendsten Fragen schienen zu sein „Wie erkenne ich ein nachhaltig produziertes Buch als Kosument:in?“ und „Wie können wir als Verlagsmitarbeitende unsere Arbeit und den Arbeitsalltag nachhaltig mitgestalten?“ Fragen, auf die die Referentin Antworten hatte.

Kajsa Schwerthöffer ist Nachhaltigkeitsbeauftragte im Münchner oekom verlag. Sie war 2011 an der Initiative Nachhaltig Publizieren – Neue Standards für die Verlagsbranche beteiligt, aus der das Umweltzeichen Blauer Engel für Druckerzeugnisse (UZ 195) entspringen sollte. Außerdem ist sie Teil verschiedener Arbeitsgruppen im Verlag, mit dem Ziel die Branche nachhaltiger zu gestalten, und betreut die Kooperationen der Publikumszeitschriften von oekom.

Zunächst erklärte sie uns die Geschichte des oekom verlags, der 1989 gegründet wurde. Nachhaltigkeit war schon immer ein Anliegen für Mitgründer Jacob Radloff und so kam es, dass sich der Verlag als Vorreiter in der Branche über Jahrzehnte hinweg etablierte. Man erkannte Potenziale und nutze Nischen der Buchbranche, die noch nicht bedient wurden. „Politische Ökologie“ war eines dieser ungenutzten Potenziale: die Fachzeitschrift erscheint seit 1991, mittlerweile sogar vier Mal im Jahr, und stellt einen Kompromiss zwischen populärwissenschaftlicher Literatur und wissenschaftlicher Fachzeitschrift dar. Ein Novum auf dem deutschen Buchmarkt von damals. Seit 2005 publiziert oekom auch Fachbücher, seit 2008 Sachbücher und mittlerweile haben es sogar Kinderbücher und Ratgeber ins Verlagsprogramm geschafft. Wenn Buchprojekte aufgrund zu hoher Risiken vom Verlag finanziell nicht getragen werden können, ermöglicht die oekom crowd, eine verlagseigene Crowdpublishing-Seite, das Crowdfunding für nischenthematische Projekte. Die Zielsetzung ist immer dieselbe gewesen: ein niederschwelliger Zugang zum Thema Nachhaltigkeit.

Nicht nur die Produkte, auch der Arbeitsalltag im oekom verlag ist vom Thema Nachhaltigkeit bestimmt. Nachhaltige Mobilität wird vom Arbeitgeber unterstützt, als Belegschaft nimmt man Teil an regionalen Projekten zum Schutz der Biodiversität. Allerdings wirft Kajsa auch einen kritischen Blick auf ihren Arbeitgeber, die CO2-Kompensation bezeichnet sie als selbstauferlegte Umweltsteuer und stellt in Frage, wieso das Geld nicht gleich zu Beginn der Produktionskette investiert wird. Generell sind Finanzen ein großes Thema für den Verlag; die Nutzung von Recyclingpapier wirkt sich mit Mehrkosten von 30 bis 40 Prozent aus und durch den Angriffskrieg auf die Ukraine war man besonders betroffen von Lieferengpässen. Es gibt immer Raum zur Verbesserung der Prozesse, konstatiert Kajsa. Zusammenschlüsse mit anderen Verlagen werden in Betracht gezogen, um ein größeres Materialvolumen einkaufen zu können und Kosten zu sparen. Es fehlt an politischen Steuerungsinstrumenten für die Branche und an der Aufklärung der Leser:innen und des Buchhandels über nachhaltige Buchproduktion. Großes Potenzial liege im öffentlichen Interesse an Nachhaltigkeit. Berichterstattung und Transparenz über nachhaltige Buchprodukte sind das A und O, um den brancheninternen Wettbewerb zu fördern und mehr Verlage für das Thema zu sensibilisieren.

Viele Verlage benutzen bereits diverse Umweltsiegel, um die Nachhaltigkeit ihrer Produkte zu kennzeichnen. Kajsa erläuterte uns im Detail, was genau hinter den gängigsten Siegeln steckt und warum manche besser sind als andere. Umweltzertifikate gehören ihrer Meinung nach zu den wichtigsten Stellschrauben für nachhaltiges Publizieren, dennoch herrsche große Unsicherheit in Bezug auf deren Bedeutung. Siegel mit hohem Wiedererkennungswert für die Konsument:innen seien natürlich besonders gefragt, wie zum Beispiel der Blaue Engel, aber auch wie das privatwirtschaftliche Siegel Cradle to Cradle. Große Unterschiede sieht sie vor allem in der Transparenz und Bedeutung. Besonders der Blaue Engel und die FSC-Siegel haben viele distinkte Kriterien, die es zu erfüllen gibt. Cradle to Cradle schneidet in diesen Bereichen besonders schlecht ab und ist gutes Beispiel dafür, wie Greenwashing in der Branche und Monopole im Bereich Nachhaltigkeit aussehen können.

Um den eigenen Verlag nachhaltig mitzugestalten, bedarf es laut Kajsa keiner Komplettrenovierung. Meistens seien es die Mehrkosten und die Frage, wo man denn anfangen soll, die die Verlage daran hindern, nachhaltiger zu arbeiten. Eine erste Impulssetzung ist der erste wichtige Schritt. Man sollte keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben, dies sei realitätsfern. Stattdessen sind die Identifikation und Anpassung wichtiger Stellschrauben im Betrieb maßgeblich: Verlagsalltag, Produkte, Dienstleister, Unternehmenskultur. Ein Monitoring-System und die Berichterstattung aus dem Verlag seien ebenso wichtig. Zusätzlich sollte man sich in Netzwerken zusammenschließen und dem gemeinsamen Ziel von Nachhaltigkeit zuarbeiten. Initiativen wie die IG Nachhaltigkeit des Börsenverein des Deutschen Buchhandels setzen auf die Zugänglichkeit und Aufbereitung von Informationen für die Buchbranche, z.B. ermöglicht sie auch kleineren Betrieben die Öko-Bilanzierung zur besseren Reflexion.

Kajsa hat uns einen ersten Einblick in die Möglichkeiten nachhaltigen Publizierens gegeben und doch gibt es so viel mehr, dass getan werden kann, getan werden muss. Gleichermaßen hat sie uns positive wie negative Entwicklungen der Branche vor Augen geführt. Es war ein Workshop, der nicht nur inhaltlich viel geliefert hat, auch die Brisanz des Themas war deutlich spürbar.

Weitere und ausführliche Informationen zum Thema Nachhaltigkeit in der Buchbranche erhaltet ihr hier:

https://www.oekom.de/

https://www.boersenverein.de/interessengruppen/ig-nachhaltigkeit/

https://www.blauer-engel.de/de/produktwelt/druckereien-und-druckerzeugnisse

https://www.umdex.de/

https://www.deutscher-nachhaltigkeitskodex.de/

Für die JVM besonders interessant ist die Taskforce Nachhaltigkeit der Nachwuchs-AG des Börsenvereins. Bei Interesse an einer Mitarbeit könnt ihr euch hier melden:

taskforce.nachhaltigkeit@nachwuchsparlament.de