Von Veronika Weiss

Von Vielfalt zu erzählen, ist notwendig und gut – das gerät immer mehr ins Bewusstsein. Die Literaturwelt schenkt mehr und mehr Menschen Aufmerksamkeit, die ein Leben außerhalb der vermeintlichen Norm führen. Auch wenn der Weg zu einem divers geprägten Literaturkanon noch recht steinig ist. Wie genau dieser Weg aussehen kann, das interessiert mich – deshalb hatte ich mich im Rahmen des JVM-Jahrestreffens für den Workshop „Hindernislauf vielfältiges Erzählen“ mit Letícia Milano und Johanna Faltinat vom „Büro für vielfältiges Erzählen“ angemeldet.

Von einer bitteren Erkenntnis …

Dass der Workshop selbst auch ein Hindernislauf werden würde, zeigte sich bereits bei der ersten Übung: Johanna Faltinat las eine Geschichte vor, in der verschiedene Menschen geschlechtsneutral bezeichnet und nicht näher charakterisiert wurden. Wir sollten sie uns aber so konkret wie möglich vorstellen. Gerade weil ich mir des Sinns dieser Übung so überdeutlich bewusst war, scheiterte ich rettungslos. Einzelheiten möchte ich euch ersparen (von Ärzten, die in meiner Vorstellung erst mittelalt und weiß waren, nach gedanklicher Selbstzensur dann iranisch-stämmig, woraufhin ich mich wiederum fragte, ob das nun nicht ein besonders übles Klischee sei, und so weiter). Ich versuchte jedenfalls aktiv, meine Assoziationen in ausgewogenere Bahnen zu lenken, was aber am Ende nur bewies, dass ich gewisse Randgruppen überhaupt nicht mitdachte. Eine bittere Erkenntnis.

Nach dieser kurzen Achterbahnfahrt stellten beide Referentinnen sich und ihre Biografien im Kontext verschiedener Privilegien und Benachteiligungen in aller Kürze vor, nahmen sich aber auf bewundernswerte Weise sofort wieder zurück und widmeten sich ganz ihrer Botschaft. Sie stellten uns Aufgaben und weise Fragen und ließen uns auf das meiste selbst draufkommen. Mithilfe einer Checkliste aus 10 Fragen machten sie uns beispielsweise bewusst, wie privilegiert wir Teilnehmenden allein durch unsere Geburt und Glück sind.

Erlaubt mir an dieser Stelle einen kleinen Exkurs auf die Metaebene, bei dem wir uns paradoxerweise im Kernbereich der Thematik wiederfinden: Dürfte ich theoretisch „Teilnehmerinnen“ schreiben? Auf den ersten Blick waren wir ausnahmslos weibliche Workshoppende. Ohne echten Einblick kann man freilich kein abschließendes Urteil treffen. Besser, ich gehe davon aus, dass nicht jeder Mensch im virtuellen Raum eine cisgeschlechtliche Frau war. Da bleibe ich lieber auf der sicheren Seite mit „Teilnehmende“ oder der etwas merkwürdigen spontanen Schöpfung „Workshoppende“.

… zum vielfältigen Erzählen

Zurück zu unserer Veranstaltung, bei der es ans Eingemachte ging: In kleinen Gruppen notierten wir Hindernisse auf dem Weg zum vielfältigen Erzählen und erarbeiteten im nächsten Schritt Lösungen. Ein paar Beispiele: Gegen innere Widerstände – wie Angst vor mangelnder Erfahrung und Glaubwürdigkeit – helfen Austausch sowie Lern- und Fehlerbereitschaft. Wenn das traditionalistische Umfeld in puncto Verkäuflichkeit Bedenken hat, hilft hartnäckige und langfristige Überzeugungsarbeit. Inhaltliche Hürden wie sprachliche Unsicherheiten können dank Mitverfassender, professioneller Beratung und Sensitivity Reading beseitigt werden. Auch etwas radikalere Methoden gegen hartnäckige Widerstände wurden aufgeführt: das Erfinden von Wörtern und der Besuch einer Therapie.

Kaum hatten wir uns derart konkret mit der Problematik auseinandergesetzt, waren die anderthalb Stunden schon rum. Wir sind mit einigen Antworten aus dem Workshop gegangen, aber viele Fragen blieben offen. Vielfältiges Erzählen ist eben kein Thema zum Abhaken. Zum Glück wurden wir mit wertvollen Links versorgt, sodass wir dranbleiben können. Denn das ist wirklich wichtig.