Dirk von Gehlen (© Holly Pickett)

Dirk von Gehlen
(© Holly Pickett)

Claudia Feldtenzer sprach mit Dirk von Gehlen, Redaktionsleiter von jetzt.de, über die nahe und ferne Zukunft. Aufgrund der Länge des Interviews veröffentlichen wir es in drei Teilen.

Als Redaktionsleiter von jetzt.de, wie ist deine Einschätzung zur Veränderung der Branche durch die Digitalisierung? Die Zeitungen sind davon ja schon sehr stark betroffen, die Buchbranche nun langsam auch. Wie wird sich das weiter entwickeln?

Es wird sich verändern, und wie es sich verändert, hängt natürlich sehr davon ab, wie die Akteure, die damit zu tun haben, sich darauf einlassen. Ich selber bin da eher indirekt hineingezogen worden: Zum einen durch meinen eigenen beruflichen Werdegang. Ich habe beim gedruckten „Jetzt“-Magazin angefangen, das es bis 2002 noch in der SZ gab. Ich habe diesen Medienwandel der so genannten Creative Industries also selber sehr genau miterlebt, weil das Heft eingestellt wurde und danach die Frage aufkam, ob es irgendwie im Internet weitergeht. Mittlerweile haben wir eine relativ gut funktionierende Website, die auch zwei gedruckte Seiten in der SZ hat. Einen Wandel wird es in jedem Fall geben, und der wird nicht nur angenehm sein, sondern er wird auch eine Menge schmerzhafte Dinge nach sich ziehen. Er birgt aber umgekehrt auch jede Menge Chancen. Mich ärgert ein bisschen, dass dieser Wandel sehr ideologisch nur aus der einen oder der anderen Perspektive gesehen wird. Es gibt entweder Leute, die total begeistert davon sind und das sehr hochjubeln. Auf der anderen Seite gibt es eine Menge Leute, die sehr schwarzmalen, weil sie sagen, das ist der Untergang: Wir haben doch jetzt alles seit 60 Jahren so gemacht, warum fangen wir jetzt auf einmal an, das anders zu machen? Es ist ein ziemlich schwieriger und komplizierter Graben, der sich hier auftut. Die entscheidende Frage ist, ob es Menschen gibt, die diesen Graben irgendwie miteinander verbinden oder moderieren können und da sehe ich jetzt noch nicht so viele, aber das ist ja auch eine herausfordernde Aufgabe, sich dem zu widmen. Das ist jedenfalls etwas, was wir hier im Haus versuchen.

Wie genau?

Wir machen etwas Crossmediales für die SZ, also Internet und Print. Ich glaube, dass beide eine relativ lange Zeit noch zusammen gehen werden. Doch irgendwann kommen Geräte, die ganz anders sind, als wir uns das heute vorstellen können. Und dass dann Medien vielleicht nur noch digital sind, das kann ich mir durchaus vorstellen. Aber für mich geht dann nicht die Welt unter, ich sehe da kein großes Problem. Spannend wird es, wenn man sich die Frage stellt, wie kann man das refinanzieren, also was sind die Geschäftsmodelle. Natürlich hat man im Internet ein relativ großes Problem, Bezahlmodelle zu implementieren. Für mich ist da sehr entscheidend, erst einmal auf einer analytischen Ebene festzustellen, dass das nicht an der Dummheit der jungen Menschen liegt. Ich glaube, das Grundproblem ist, dass diese Revolution, von der wir immer sprechen, die Digitalisierung, dazu geführt hat, dass die Inhalte von ihrem Trägermedium gelöst wurden und das ist tatsächlich eine geistesgeschichtliche Neuerung, die es so bisher nicht gab. Bisher war es so, dass ich als Verleger ein Buch hergestellt habe und dadurch Kosten im Druck, im Vertrieb und im Marketing hatte. Diese Kosten habe ich durch den Verkaufspreis wieder hereingeholt und im besten Fall natürlich noch ein bisschen mehr, es muss sich ja irgendwie rechnen. Die Kosten für Druck und Vertrieb entfallen heute, weil man das Trägermedium Papier eigentlich nicht mehr braucht. Das digitalisierte Werk lässt sich einfach so verbreiten, und das liegt an der digitalen Kopie, die es möglich macht, ohne Qualitätsverluste die Inhalte oder Produkte zu verbreiten.

Als Journalist habe ich mich sehr intensiv mit der Musikindustrie befasst und hier ist klar erkennbar, dass eine Lösung vom Trägermedium schon vonstatten gegangen ist. Ich brauche die CD nicht mehr, um einen Song anzuhören. Ich kann ihn jederzeit überall auf der Welt runterladen, und das stellt natürlich das Geschäftsmodel komplett in Frage. Das ist das eine. Das zweite ist aber, dass wir es sprachlich überhaupt nicht fassen können. Man kann das sehr schön am Beispiel des Diebstahls festmachen. Es wird immer gerne kolportiert, dass Menschen, die Tauschbörsen nutzen, Inhalte stehlen. Das Problem ist nur, dass unsere bisherige Art, Diebstahl zu beschreiben, immer „etwas wegnehmen“ bedeutet hat. Also ich stehle dir den Kaffee, indem ich ihn dir wegnehme, dann hast du ihn nicht mehr, aber ich habe ihn. Wenn du jetzt aber eine mp3-Datei hast und ich stehle sie dir, dann haben wir sie am Ende beide. Da kann man jetzt moralisch sagen, das ist egal. Ich will es aber erst mal gar nicht moralisch bewerten, das ist ein anderer Schritt, sondern rein analytisch sprachlich. Wir haben noch gar keine Begriffe, um mit dieser digitalen Revolution umzugehen. Unser ganzes Denken basiert auf einer klaren Struktur von Original und Kopie, in der sich das Original von der Kopie unterscheidet. Wenn Original und Kopie aber identisch sind, wenn wir sie am Ende nicht mehr unterscheiden können, weil sie exakt gleich sind, dann entsteht daraus sozusagen allein sprachlich – ich bin jetzt noch gar nicht bei der wirtschaftlichen oder juristischen Frage – ein total unsicheres Gelände, auf dem wir uns bewegen.

Thematisiert ihr solche Vorgänge auch auf eurer Website, zum Beispiel den Tatbestand, Diebstahl zu begehen, versus das mangelnde Gefühl, etwas Unrechtes zu tun?

Die Website funktioniert nach dem Prinzip einer redaktionell geführten Community, sozusagen ein Mini-Facebook mit redaktionellen Texten. Wir sind circa 150.000 registrierte Nutzer.

(Was im Übrigen auch eine Veränderung im Journalismus bedeutet. Bisher war der Journalismus – der Chef der Wirtschaftswoche hat es einmal Helikopterjournalismus genannt – so: Es wurde etwas abgeworfen, und dann konnte der Leser damit machen, was er wollte. Das interessierte den Autor oder den Redakteur aber nicht mehr. Und heute ist es so, dass wir in einer sehr dialogischen Form Journalismus betreiben, was vielleicht am Ende auch eine Lösung sein kann für das ganze Problem. Aber das mal nur als Fußnote.)

Unsere Leser diskutieren stark mit und erzählen eigene Geschichten, die ihnen passiert sind. Das ist natürlich der Antrieb dafür, dass wir nicht nur das Thema Urheberrecht im weitesten Sinne, sondern auch alle anderen Themen abhandeln, die unsere Leser interessieren, weil wir ein direktes Feedback bekommen. Beim Urheberrecht habe ich festgestellt, dass es ebenfalls eine Ausprägung dieses digitalen Grabens ist, dass es darüber kaum seriöse Berichterstattung gab oder gibt. Zumindest nicht in den klassischen Mainstream-Medien. Da ist die Berichterstattung oft noch geprägt von a) einer gewissen Ahnungslosigkeit (Menschen schreiben über eine Tauschbörse, obwohl sie nie eine benutzt haben) und b) von einer sehr starken Lobbymacht, weil natürlich auch große wirtschaftliche Interessen dahinter stehen. Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass diese wirtschaftlichen Interessen auch von Lobbyverbänden vertreten werden und Journalisten auch sozusagen eingeflüstert werden. Was ich nur so erstaunlich finde, ist, dass es auf der Verbraucherseite gar keine Lobbymacht gibt. Es gibt nur eine klare Lobbymacht, die sagt, wir wollen DRM, also Kopierschutz auf CDs und DVDs, haben. Es müsste auf der anderen Seite auch eine Lobbymacht geben, die aus Verbraucherperspektive sagt: Wenn ich mir eine CD im Laden kaufe, dann will ich die im Auto hören können und ich will mir auch eine Sicherheitskopie machen können, falls sie zerbricht. Das ist meiner Meinung nach ein legitimes Interesse, das ist kein Diebstahl, kein Wegnehmen, moralisch nicht zu verdammen. Dafür haben wir aber keine Organisation, und der Journalismus ist dem viel zu spät und nicht ausreichend nachgekommen, die Interessen der Menschen zu vertreten, die das nicht tun, weil sie bewusst Gesetze brechen wollen.

 

Nächste Woche in Teil 2: Die Erfahrungen der Musikindustrie und wie Verlage daraus etwas lernen können.

 

Interview: Claudia Feldtenzer