Verena Nolte (© Barbara Niggl Radloff)

Verena Nolte
(© Barbara Niggl Radloff)

Claudia und Julia sprachen mit der Geschäftsführerin des Netzwerks der Literaturhäuser Verena Nolte über die Arbeit und Aufgaben der Literaturhäuser und über die Bedeutung des Netzwerkens.

Was ist das Netzwerk der Literaturhäuser?
Das Netzwerk der Literaturhäuser hat sich vor zehn Jahren gebildet. Vor etwa 20 Jahren haben einzelne Städte, finanziert durch Kommunen, Vereine oder Stiftungen, verstärkt damit begonnen, Lesungen und Veranstaltungen rund um die Literatur zu organisieren. Daraus sind die Literaturhäuser hervorgegangen, die bis heute unterschiedlich organisiert sind. Trotzdem haben sie sich auch immer mehr untereinander ausgetauscht, sodass es sinnvoll erschien, ein gemeinsames Netzwerk der Häuser zu bilden. Das erste große, gemeinsame Projekt, das von mehreren Literaturhäusern organisiert wurde, war Literaturhaus bringt Poesie in die Stadt: Auf Plakaten haben wir Gedichte drucken lassen und sie auf Werbeflächen, die wir in den Sommermonaten gratis zur Verfügung gestellt bekommen hatten, in den unterschiedlichen Literaturhausstädten platziert.

Allmählich entstand, erst in der Form einer GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) und seit 2008 in Form eines gemeinnützigen Vereins, das Netzwerk der Literaturhäuser. Inzwischen sind elf Literaturhäuser Mitglieder, wovon sich drei im deutschsprachigen Ausland befinden.

Welche Aufgaben haben Sie als Geschäftsführerin dieses Netzwerkes?
Ich bin verantwortlich für die großen, übergreifenden Projekte, für die die elf Häuser Mittel akquirieren bei Stiftungen, beim Bund oder bei der Europäischen Union. Wenn wir gemeinsam agieren und wir ein Projektformat erstellen, das in allen Häusern oder in einem Großteil der Häuser stattfinden kann, bin ich, zusammen mit unserem Vorstand, der koordinierende Ansprechpartner. Wir entwickeln Projektformate immer in ganz enger Zusammenarbeit auf unseren Netzwerktreffen, das heißt wir arbeiten wirklich sehr stark gemeinsam. Es ist also nicht so, dass der Vorstand undich uns irgendetwas überlegen und alle anderen Häuser müssen das dann umsetzen. Es ist vielmehr wichtig, dass unsere Konzepte für alle Häuser inhaltlich interessant und praktikabel sind.

Könnten Sie einmal ein Beispiel für ein gemeinsames Projekt geben?
Zum Beispiel gibt es Poesie in die Stadt auch heute noch. Dieses Jahr haben wir, passend zum Ehrengast der Frankfurter Buchmesse, chinesische Gedichte auf Plakate drucken lassen. Wir haben mit einem Kurator, dem Dichter Xi Chuan aus China, zusammengearbeitet, der die Gedichte ausgesucht hat. Dazu gab es in den Literaturhäusern Lesungen mit einigen der Dichter zum Auftakt der Plakataktion.

Dann vergeben wir jährlich einen Preis, der auf dem blauen Sofa in Leipzig bekannt gegeben wird. Es ist  nicht einfach nur ein Literaturpreis, sondern soll Schriftstellerinnen und Schriftsteller ehren, die sich über ihre literarische Qualität hinaus auch dadurch auszeichnen, dass sie sich durch ausgefallene Lesungen, Ideen oder Veranstaltungen bemüht haben, eine Brücke zum Leser zu schlagen. Schließlich ist dies die Aufgabe der Literaturhäuser: Wir sind die Vermittler zwischen Autor und Leser.

Natürlich sind wir immer an neuen Veranstaltungsformaten interessiert und ich kann mir vorstellen, dass wir in Zukunft auch einfallsreiche Veranstaltungen mit den Jungen Verlagsmenschen organisieren könnten. Mit der Jugend kommen neue Ideen, und Literaturhäuser wollen jung und offen sein.

Woher nehmen Sie die Leidenschaft für Ihren Beruf?
Literatur begleitet mich von Kindheit an. Ich war schon immer eine leidenschaftliche Leserin. Literatur reflektiert unser Sein, unsere Gesellschaft, unseren Alltag. Das, was wir tun. Wir spiegeln uns darin wieder oder auch nicht. Oder stehen manchmal entsetzt davor und lesen trotzdem weiter. Für mich gibt es Bücher, die bleiben, und es ist sehr aufregend und reizvoll, bei diesem Prozess mitzuwirken: Literatur zu entdecken, Texte, Schriftsteller zu begleiten, indem wir sie auftreten lassen, oder das Entstehen von Literatur in Textwerk- und Schreibseminaren zu unterstützen. Die Themen und die Menschen verändern sich ständig, neue Schriftsteller wachsen heran, andere bleiben, wieder andere verschwinden von der Bildfläche, und Generationen später tauchen sie vielleicht wieder auf. Ohne Literatur zu leben, ist für mich undenkbar, sie gehört zu mir. Das ist meine Motivation, mein Motor. Ihrer sicher auch.

Welche Rolle werden die Literaturhäuser in der Zukunft spielen?
Die Literaturhäuser leben davon, dass der Leser den direkten Kontakt zum Autor sucht. Leser kommen zu uns und wollen sehen, wie der Mensch aussieht, dessen Buch sie gerade gelesen haben. Das kann manchmal eine Enttäuschung sein! Aber es kann auch eine Nähe zum Schriftsteller entstehen – dann macht der Leser im Grunde genau das, was wir als Literaturhäuser auch machen, nämlich das Werk eines Autors verfolgen und weiterlesen. Das ist nicht zu ersetzen durch Digitalisierung, durch Internet, durch Facebook. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Literaturhäuser aufgrund von solchen Internetforen überflüssig werden. Denn der Mensch wird immer die Sehnsucht nach der Berührung haben. Wenn er diese nicht mehr hat, dann ist sein Mensch-Sein vergeblich geworden.

Dennoch wird die Digitalisierung einen Einfluss auf die Literatur und die Verlagsbranche haben, oder?
Es ändert sich immer alles, das heißt aber nicht, dass es schlechter wird. Es verändert sich eben, und es wird anders. Angefangen zu arbeiten habe ich als Übersetzerin. Als ich 1998 das erste Mal eine Übersetzung per Email verschickt habe, blieb mir fast der Atem stehen. Ich dachte: »Jetzt hast du monatelang an diesem Buch gesessen, und jetzt machst du einen Klick und das Buch ist weg.« Ich glaube, Sie und ich arbeiten heute fast ausschließlich per Email.

Ich habe nichts gegen das Ebook. Ich sehe das nicht als Gefahr für die Literatur, sondern als eine neue Herausforderung. Zugegeben, ich freue mich trotzdem, wenn ich ein Buch aus dem Regal raussuche, das ich vor 20 Jahren das letzte Mal gelesen habe, wo meine ganzen alten Anmerkungen noch stehen. Das mache ich mit dem Ebook nicht. Ein Ebook hat einen andern Zweck: Das nehme ich mit auf die Reise und muss nicht mehr diese ganzen schweren Dinger schleppen (lacht). Also, ich finde das schließt sich nicht aus.

Das Buch hat seine Faszination behalten, und wird es auch behalten. Trotz aller Schreckensszenarien, die es ja schon lange gibt. Und aus Blogs, Forenbeiträgen könnten später auch Bücher entstehen, oder?

Was raten Sie uns, den Jungen Verlagsmenschen für die Zukunft?
Ich glaube, solange geschrieben und gelesen wird, brauchen wir uns keine Gedanken um die Literatur oder um das Buch zu machen. Natürlich müssen wir uns laufend darum kümmern, dass dies weiter geschieht. Aber dazu sind Sie ja da und ich auch.

Interview: Claudia Feldtenzer und Julia Strysio