Ursula Kirchenmayer (© Dominique Conrad)

Ursula Kirchenmayer
(© Dominique Conrad)

Ein Gespräch mit unserer You want to read?-Siegerin Ursula Kirchenmayer, bei dem einen das Fernweh packt und nicht mehr loslässt.

Am heutigen Mittag konnte Ursula Kirchenmayer den ersten Teil ihrer Siegerprämie einlösen und eine Lesung am Stand der Frankfurter Rundschau halten. Im Gespräch mit Thomas Altendorf berichtete sie von ihrer rumänischen Herkunft, der Schwierigkeit sich in der frühen Kindheit in einer neuen Sprache zu verständigen und davon, wie sie auf diese anfängliche Schwäche in eine ihrer größten Stärken verwandelte. Heute spricht die Studentin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig drei weitere Sprachen nahezu akzentfrei. Der Sieg bei You want to read? ist ihr zweiter großer Erfolg bei einem Literaturwettbewerb innerhalb eines Jahres. Im Mai wurde sie bereits Zweite beim MDR-Literaturpreis, welches der erste Wettbewerb war, an dem sie teilnahm.

Thomas Altendorf im Gespräch mit Ursula Kirchenmayer (© Dominique Conrad)

Thomas Altendorf im Gespräch mit Ursula Kirchenmayer
(© Dominique Conrad)

Seit 2010 absolviert Ursula Kirchenmayer ein Zweitstudium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Im Mittelpunkt steht hierbei die Schreibpraxis, die sie zuvor in ihrem Germanistik-Studium vermisst habe. Der dort entstandene Text überzeugte sowohl die Jury des You want to read-Wettbewerbs, als auch den Moderator Thomas Altendorf. Er lobte das Tempo ihres Textes, das ganz dem Verlauf der Geschichte entspräche und bekundete mehrmals, er sei überzeugt in Zukunft noch viel von der jungen Autorin hören zu werden.

Im Anschluss an die Lesung sprachen wir mit Ursula Kirchenmayer über ihren Text und ihre Erfahrungen in Südamerika.

Vielen Dank für diese wunderbare Lesung. Es hat unwahrscheinlich viel Spaß gemacht, dir beim Lesen deines Textes zuzuhören. Konntest du denn bereits Erfahrungen im Vortragen deiner Texte sammeln?
Ja, aufgrund der vielen Lesungen rund um die Tippgemeinschaft [Jahresanthologie des Deutschen Literaturinstituts Leipzig] und den MDR-Literaturpreis konnte ich alleine dieses Jahr schon sehr viele Erfahrungen sammeln. Zwar gab es erst vor Kurzem eine Übung an der Universität, in der man das Vortragen seiner Texte erlernen konnte, jedoch habe ich es nicht besucht. Ich glaube, dass man sich ein wenig Natürlichkeit beim Lesen seiner Texte bewahren sollte.

Zuschauer am Stand der Frankfurter Rundschau (© Dominique Conrad)

Zuschauer am Stand der Frankfurter Rundschau
(© Dominique Conrad)

Die gesamte Handlung deines Romanfragmentes „Unverhoffte Nähe“, mit dem du dieses Jahr bei You want to read? gewonnen hast, spielt in Südamerika, wo du auch selbst gelebt hast. Wie lange warst du dort?
Ich habe insgesamt knapp zwei Jahre in Südamerika verbracht, jedoch nicht am Stück. Zunächst war ich einen, dann weitere acht und dann zehn Monate dort. Ich möchte gerne wieder zurück, jedoch würde ich dieses Mal nicht herumreisen, sondern in einem Ort bleiben, da Reisen für mich bedeutet, immer neue Eindrücke zu gewinnen, die alle irgendwann im Schreiben verarbeitet werden müssen.

Ein wichtiger Bestandteil deiner Erzählung ist das Motiv der indigenen Sagen und Mythen. Wie bist du mit diesen Geschichten in Kontakt gekommen?
In Peru sind diese Mythen sehr präsent. Mir wurden dort sehr viele von Menschen erzählt, die fest daran glaubten, einem mythischen Wesen tatsächlich begegnet zu sein. Vertieft habe ich dieses Thema in einem speziellen Seminar an der Universität von Lima, in dem wir die Strukturen dieser Erzählungen betrachtet haben. Sie berichten immer von sich ergänzenden Gegensätzen und reflektieren auf eine sehr bildliche Weise die Kolonialisierung Südamerikas durch die Spanier. Zum Beispiel existiert die Sage um Pishtaco, einem Weißen, der der Legende nach in Peru sein Unwesen treibt, Menschen aus der indigenen Bevölkerung entführt und das aus ihnen herausgepresste Fett nach Nordamerika und Europa verkauft. An diesem Mythos erkennt man schnell, wie angespannt das Verhältnis zwischen der andinen Bevölkerung und den Weißen Südamerikas ist. Mir persönlich haben die Erfahrungen in Südamerika geholfen, mich aus einer ganz neuen, auch kritischen Perspektive wahrzunehmen, da ich mich selbst nie als privilegierte Europäerin betrachtet habe, als welche ich dort gesehen werde.

Wie war es denn sich als „Gringa“, wie deine Figur von einer indigenen Demonstrantin betitelt wird, in Südamerika fortzubewegen. Gab es viele Vorurteile?
Ich würde es eher Skepsis, oder Misstrauen nennen, was mir dort entgegengebracht wurde. Jedoch ist diese auf dem Land, unter der Quechua sprechenden Bevölkerung, verbreiterter, als in den Städten. Mir ist es aber auch passiert, dass ich in einem Restaurant nicht bedient wurde, da ich eine Weiße bin.

Bist du während deiner Zeit in Südamerika nur herumgereist oder hast du auch dort gearbeitet?
Nach dem Abitur habe ich in Argentinien mit Kindern „gearbeitet“. Ich musste jedoch dabei die Erfahrung machen, dass viele Europäer unter dem Vorwand helfen zu wollen nach Südamerika gehen, und dort eigentlich mehr Arbeit verursachen, als beseitigen. Durch den ständigen Wechsel der Helfer fehlt die Beständigkeit, um gute Arbeit leisten zu können. Ich finde es gut, wenn Menschen nach Südamerika gehen und auch, wenn sie dort helfen wollen, aber sie sollten so ehrlich sein, dies nicht als Rechtfertigung oder Vorwand für ihre, natürlich auch berechtigte Abenteuerlust zu benutzen.

Stehen denn in nächster Zeit noch weitere Buchprojekte bei dir an?
Zunächst einmal möchte ich mich ganz dem jetzigen Buchprojekt widmen. Sobald ich das jedoch abgeschlossen habe, würde ich mich gerne wieder meinen Rumänien-Texten widmen, von denen schon einige existieren, und vielleicht werde ich hierfür auch ein halbes Jahr nach Rumänien gehen.

Du studierst „Literarisches Schreiben“ am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Von diesen Studiengängen existieren nur wenige in Deutschland. Wie kann man sich ein solches in der Praxis vorstellen?
Es gibt unter anderem klassische germanistische Seminare, die sich mit der Theorie auseinandersetzen. Da es davon aber nicht sehr viele gibt, sind sie sehr viel intensiver als in der Germanistik. Dafür steht die Gegenwartsliteratur viel mehr im Vordergrund des Studiums. Es gibt sogenannte Werkstatt-Seminare, in denen man lernt Texte sehr kritisch zu lesen. Man erhält ständig Feedback von den anderen Kommilitonen und auch durch die kleineren Arbeitsgruppen ist es ein intensiveres Lernen.

Wie sind die Aufnahmebedingungen für ein solches Studium?
Man bewirbt sich mit insgesamt zwanzig Seiten Arbeitsproben. Es muss aber kein zusammenhängender Text sein. Jeweils im Wintersemester bewerben sich 400 bis 600 Leute für ein Studium in Leipzig, von denen lediglich vierzig zu einem Gespräch eingeladen werden. Davon wird circa die Hälfte angenommen.

Für dieses Interview bedankt sich: Janika Krichtel